Humanitäre Aufnahmeprogramme für Syrer als Modell für Europa
Deutschland ist einer der wenigen Staaten, die syrischen Flüchtlingen bereits seit 2013 durch humanitäre Aufnahmeprogramme Zuflucht gewährt haben. Eine solche kollektive Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen ermöglicht eine sichere und legale Einreise, entlastet die Asylsysteme und kann als Vorbild für ein koordiniertes europäisches Aufnahmeprogramm dienen. Eine Analyse des SVR-Forschungsbereichs zeigt aber auch Verbesserungsbedarf: Die unterschiedliche Ausgestaltung der Programme von Bund und Ländern führt zu unterschiedlichen Rechten für den gleichen Personenkreis, auch im Vergleich mit dem Asylverfahren. Für künftige Aufnahmeprogramme empfiehlt der SVR-Forschungsbereich daher eine weitgehende Angleichung der Rechte.
Berlin, 20. Oktober 2015. Der seit 2011 anhaltende Bürgerkrieg in Syrien hat zu einer humanitären Krise von enormem Ausmaß geführt: Mit 12 Millionen Syrern ist fast die Hälfte der Bevölkerung Syriens auf der Flucht, davon 7,6 Millionen innerhalb Syriens. Allein in den Nachbarstaaten haben über vier Millionen Syrer Zuflucht gesucht. Deutschland hat von Januar 2011 bis September 2015 etwa 300.000 syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen Zuflucht gewährt, davon bislang 35.000 Personen auf der Grundlage humanitärer Aufnahmeprogramme von Bund und Ländern. „Diese kollektiven Aufnahmeverfahren für Bürgerkriegsflüchtlinge können als Vorbild für ein koordiniertes europäisches Aufnahmeprogramm dienen“, sagte Dr. Cornelia Schu, Direktorin des SVR-Forschungsbereichs bei der Vorstellung des Policy Briefs „Sicherer Zugang. Die humanitären Aufnahmeprogramme für syrische Flüchtlinge in Deutschland“. Die Untersuchung, die von der Stiftung Mercator gefördert wurde, analysiert die drei Aufnahmeprogramme des Bundes und die 15 Länderprogramme.
„Wie wichtig kollektive Aufnahmeprogramme für Bürgerkriegsflüchtlinge sind, hat sich in den letzten Wochen gezeigt, in denen Zehntausende syrischer Flüchtlinge auf lebensgefährlichen Wegen versuchen, nach Europa zu gelangen“, sagte Schu. „Sie bieten gleich drei Vorteile: Eine kollektive Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen ermöglicht eine sichere und legale Einreise, entlastet die Asylsysteme und kann als Vorbild für ein koordiniertes europäisches Aufnahmeprogramm dienen.“ Sie betonte die Bedeutung einer fairen und solidarischen Verteilung von Flüchtlingen in der EU: „Ein wichtiger, erster Schritt ist die beschlossene Umverteilung von insgesamt 160.000 Flüchtlingen in der EU. Darüber hinaus sollten sich die EU-Mitgliedstaaten auf umfangreiche koordinierte, europäische Aufnahmeprogramme für syrische Bürgerkriegsflüchtlinge verständigen.“
Doch bei aller Vorbildfunktion der humanitären Aufnahmeprogramme in Deutschland gibt es bei ihrer Ausgestaltung noch Verbesserungsbedarf. Je nach Aufnahmeprogramm gestalten sich die Rechte der aufgenommenen Flüchtlinge unterschiedlich, auch im Vergleich zum Asylverfahren: Vor allem Flüchtlinge aus den Länderprogrammen sind rechtlich schlechter gestellt. Das betrifft etwa den Zugang zu Integrationskursen, zu Sozial- und Gesundheitsleistungen und die Aufenthaltsdauer. Anspruch auf Integrationsmaßnahmen haben Asylberechtigte und Flüchtlinge der Bundesprogramme, nicht aber Flüchtlinge aus den Länderprogrammen. Knapp die Hälfte aller Flüchtlinge, die über die Länderprogramme aufgenommen wurden, sind daher ins Asylverfahren gewechselt. „Die unterschiedliche Behandlung ist nicht nachvollziehbar und auch für die Flüchtlinge unverständlich“, sagte Schu.
Dr. Susanne Farwick, Leiterin des Bereichs Integration der Stiftung Mercator erklärte: „Unabhängig davon, über welches Programm sie gekommen sind, werden viele der Geflüchteten eine längere Zeit hier bleiben. Deshalb ist es wichtig, sowohl Sprachförderangebote als auch konkrete Maßnahmen zur Integration ins Bildungssystem und den Arbeitsmarkt auszubauen.“
Die Landesprogramme sehen zudem vor, dass die Aufnahme eines Flüchtlings nur möglich ist, wenn sich nahe Verwandte – zeitlich unbegrenzt – verpflichten, sämtliche Kosten für den Lebensunterhalt zu übernehmen. Dies stellt für viele eine hohe Hürde dar und kann zu übermäßigen Belastungen der aufnehmenden Angehörigen führen. Denn in der Regel muss eine einzelne Person für die gesamten Kosten bürgen. In einigen Bundesländern wie Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein kann die finanzielle Verantwortung hingegen auf mehrere Schultern verteilt werden. „Diese Praxis hat sich bewährt und sollte bundesweit zum Einsatz kommen“, empfahl Schu. Auch sollte erwogen werden, die Geltungsdauer der Verpflichtungserklärungen zeitlich zu begrenzen.
Darüberhinaus empfiehlt der SVR-Forschungsbereich, die Rechte der Flüchtlinge in den Aufnahmeprogrammen denen anerkannter Flüchtlinge anzugleichen. „Personen mit gleichem Schutzbedarf sollten möglichst gleiche Rechte erhalten“, sagte Schu.
Der Policy Brief und eine Infografik können hier heruntergeladen werden.
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