Klimawandel und Migration: Die Zeit zu handeln ist jetzt

Ein Beitrag von Prof. Dr. Hans Vorländer

Porträtfoto von Prof. Vorländer

Der von Menschen gemachte Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen der Gegenwart. Er wirkt sich auf fast alle Lebensbereiche aus. Bereits vorhandene soziale, ökonomische oder politische Problemlagen werden verschärft. Dadurch erhöht sich vielerorts der Migrationsdruck, wie der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten 2023 zeigt. Nationalstaaten sowie politische Entscheidungsgremien auf regionaler und globaler Ebene sind deshalb gefragt: Um klimawandelbedingte Migration gestalten zu können, müssen sie flüchtlings- und migrationspolitische Instrumente nutzen und weiterentwickeln.

2023 war nach Angaben der Weltwetterorganisation WMO das heißeste Jahr, das jemals gemessen wurde. Es ist auch als Jahr der Naturkatastrophen in die Statistik eingegangen: Zyklone, Starkregen, Dürre oder Waldbrände verursachten Zerstörung und zwangen Menschen zur Flucht. Lebensraum wurde zerstört, Tote wurden beklagt. Es kam zu weiterer Verarmung und Hunger, weil Land etwa nicht mehr nutzbar war – ausgelaugt, erodiert, versalzt.
Extreme Wetterereignisse sowie schleichende Umweltveränderungen können zwar nicht immer eindeutig auf den Klimawandel zurückgeführt werden, dennoch ist dieser ein Metafaktor, der bestehende Migrationsmuster beeinflusst. Die vorhandenen Szenarien und Prognosen, die der SVR für sein Jahresgutachten ausgewertet hat, legen dabei verschiedene Methoden, Operationalisierungen und Definitionen oder regionale Schwerpunkte zugrunde und sind daher oft nicht miteinander vergleichbar. Zudem sind Migrationsentscheidungen von sehr vielen verschiedenen Faktoren abhängig. Alle Studien erwarten jedoch, dass die Zahlen klimawandelbedingter Migration in Zukunft steigen werden.

Mit Unsicherheiten kontextsensibel umgehen

Damit sich die verantwortlichen Akteurinnen und Akteure möglichst frühzeitig auf Entwicklungen einstellen können, bleiben bei allen Unsicherheiten im Detail Prognosen und Szenarien zu klimawandel-bedingter Migration wichtige Instrumente für vorausschauendes Handeln. Der Trend in der Wissenschaft geht daher auch dahin, verschiedene Szenarien auf Basis unterschiedlicher Annahmen zu erstellen. Ein Beispiel dafür ist der zweite Groundswell-Bericht aus dem Jahr 2021, der eine Prognose zu klimawandelbedingter Migration bis zum Jahr 2050 liefert. Danach könnten – unter optimistischen Annahmen – mehr als 40 Millionen Menschen gezwungen sein, ihre Heimat zu verlassen. Bei pessimistischer Lesart sind es weit über 200 Millionen. Diese Spannbreite zeigt, dass politisches Handeln dringlich ist: Wenn es nicht gelingt, die fortschreitende Erderwärmung aufzuhalten und die Klimaziele zu erreichen, zu wenig Investitionen in eine nachhaltige Entwicklung getätigt werden und Anpassungsmaßnahmen zur Abwendung der Folgelasten des Klimawandels fehlen, werden künftig deutlich mehr Personen migrieren müssen. Darauf muss die Menschheit vorbereitet sein.

Wer ist betroffen, wer verantwortlich?

Klimawandelbedingte Migration zeigt sich bereits weltweit – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. So finden derartige Wanderbewegungen in erster Linie innerstaatlich statt oder zwischen direkt benachbarten Ländern. Die internationale Abwanderung über Kontinente hinweg, etwa von Afrika nach Europa, ist bislang die Ausnahme. Hinzu kommt: Risiken und Möglichkeiten zur Anpassung an klimawandelbedingte Veränderungen sind global höchst ungleich verteilt. So sind wirtschaftlich benachteiligte Bevölkerungsgruppen vor allem aus Ländern des globalen Südens zwar historisch gesehen weniger verantwortlich für den menschengemachten Klimawandel, von dessen Auswirkungen sind sie jedoch viel stärker betroffen. Hier geht es also auch um eine Gerechtigkeitsfrage, der sich die Industrieländer, die traditionell den höchsten Kohlendioxidausstoß zu verzeichnen haben, stellen müssen.

Migration als Anpassungsstrategie ermöglichen

Migration kann eine proaktive Anpassungsstrategie sein. Voraussetzung ist, dass ausreichend finanzielle Ressourcen, Bildung bzw. berufliche Qualifikation sowie persönliche Netzwerke vorhanden sind. Mit Rücküberweisungen können die Migrantinnen und Migranten Angehörige im Herkunftsland unterstützen, gesunkene Einkommen ausgleichen und Investitionen ermöglichen, um die Abhängigkeit von Wetterereignissen zu verringern und die Anpassung an neue Umweltbedingungen zu fördern. Migration sollte staatlicherseits daher als Investition in eine nachhaltige Zukunft ermöglicht und mit umfassenden Integrationsmaßnahmen begleitet werden. Zugleich sind aber auch die Bedarfe derjenigen zu berücksichtigen, die aufgrund einer engen Bindung an einen Ort, eine Kultur oder eine ihnen vertraute Gemeinschaft nicht migrieren wollen. Auch das „Recht zu bleiben“ muss deshalb gestärkt werden, etwa durch den Ausbau der Katastrophenvorsorge und bedarfsgerechte Anpassungsmaßnahmen vor Ort. Um klimawandelbedingte Migration in diesem Sinne verantwortungsvoll politisch zu gestalten, sollte das gesamte migrationspolitische Instrumentarium genutzt werden. So können bei einer plötzlichen (oft temporären) Abwanderung, z. B. aufgrund einer drohenden Umweltkatastrophe, Ansätze aus der Flüchtlingspolitik angewendet werden: humanitäre Visa, temporäre Schutzgewährung oder auch die Aussetzung von Rückführungen in Länder und Regionen, die von Katastrophen betroffen sind. Um Migration als gezielte Anpassungsstrategie zu ermöglichen, sind eher migrationspolitische Instrumente gefragt: Arbeitsvisa oder bestehende Abkommen zur Personenfreizügigkeit, die auch vom Klimawandel betroffenen Menschen Zugang zu anderen Ländern ermöglichen.

Internationale Zusammenarbeit: Verbindlicher Mechanismus fehlt

Klimawandel, Flucht und Migration sind globale Herausforderungen. Doch bislang gibt es keine ‚globale Governance für Klimamigration‘. Zudem lassen sich rechtsverbindliche Instrumente des Völkerrechts wie die Genfer Flüchtlingskonvention nur bedingt auf klimawandelbedingte Migration anwenden; Gleiches gilt für das menschenrechtliche non-refoulement-Prinzip. Um einen verbindlichen Mechanismus zu schaffen, wären erhebliche politische Hürden zu überwinden – und eine Neuverhandlung der Genfer Flüchtlingskonvention hat realpolitisch gesehen eher geringe Erfolgschancen. In etlichen Ländern wird das Flüchtlingsrecht zunehmend restriktiv ausgelegt, mancherorts sogar praktisch missachtet. Daher besteht ein hohes Risiko, dass Verhandlungen das bestehende Schutzregime nicht stärken, sondern vielmehr schwächen. Deshalb sollten bereits vorhandene Strukturen und Handlungsempfehlungen genutzt werden, um an den Klimawandel angepasste migrations- und flüchtlingspolitische Strategien zu konkretisieren und umzusetzen. Dafür ist aus Sicht des SVR ein Mosaik aus lokalen, regionalen und nationalen Ansätzen besser geeignet als ein globales Instrument, das neu entwickelt und verhandelt werden müsste. Koordination verbessern, Beschlüsse schneller umsetzen Einige informelle Kooperationsrahmen gibt es bereits: Der Globale Migrationspakt, die Plattform zu katastrophenbedingter Vertreibung und die Task Force on Displacement bieten eine gute Grundlage für migrations- und flüchtlingspolitische Ansätze im Kontext klimawandelbedingter Wanderungen. Die Umsetzung der bestehenden Handlungsempfehlungen sollte jedoch engmaschiger beobachtet und die politische Koordination zwischen den Staaten verbessert werden. Zusätzlich sollten die vorhandenen Lösungsansätze aus den verschiedenen Prozessen und Foren zusammengeführt werden, um sie übersichtlicher zu gestalten. Die Ergebnisse der Weltklimakonferenz in Dubai (COP 28) geben Anlass zu vorsichtigem Optimismus. Dass die Weltgemeinschaft das Ende der fossilen Ära einläuten und die Klimafinanzierung auf stabile Füße stellen will, ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Zeit zum Ausruhen bleibt aber nicht, denn nun müssen die Verantwortlichen ihren Worten Taten folgen lassen. Hier gilt es genau zu prüfen, ob vorausschauende Maßnahmen etabliert werden.

Regionale Ebene: Realistische Lösungsansätze

Auch die regionale Ebene spielt bei der Bewältigung klimawandelbedingter Migration eine wichtige Rolle. Regionale Lösungsansätze sind realistischer, pragmatischer und schneller umsetzbar als globale. Das gilt besonders in Bezug auf den Flüchtlingsschutz und Abkommen zu Personenfreizügigkeit. Beispiele aus Lateinamerika und Afrika zeigen, dass beide Instrumente auf klimawandelbedingte Migration angewendet werden können. Ähnliche Regelungen könnten auch auf europäischer Ebene umgesetzt werden, wenn bestehende asyl- und migrationspolitische Instrumente so ausgestaltet werden, dass sie auch auf klimawandelinduzierte Migration anwendbar sind. Dies gilt etwa für die 2022 erstmals aktivierte EU-Richtlinie zur Gewährung vorübergehenden Schutzes – die sog. Massenzustrom-Richtlinie. Es gilt auch für die Umsetzung von Resettlement-Programmen und die Vergabe humanitärer Visa. Vor allem jedoch können auf EU Ebene Programme der Entwicklungszusammenarbeit genutzt werden, um in betroffenen Ländern und Regionen die Anpassung an den Klimawandel zu fördern und Staaten mit starker Binnenmigration zu unterstützen. Ein weiterer wichtiger Baustein sind finanzielle und technologische Transfers an Länder, die wenig zum Klimawandel beigetragen haben, aber stark unter dessen Folgen leiden.

„Migrations- und flüchtlingspolitische Gestaltungsoptionen sollten fester Bestandteil der klimapolitischen Agenda werden. Es gilt, Migration aufgrund plötzlicher Ereignisse wie auch schleichender Umweltveränderungen nachhaltig zu steuern.“

– Prof. Dr. Hans Vorländer

Nationale Ebene: Drei Instrumente zur Migrationssteuerung

Auch wenn der Klimawandel und dessen Folgen globale Herausforderungen darstellen, kommt auch den Nationalstaaten eine maßgebliche Bedeutung zu – das gilt vor allem für die Gestaltung von klimawandelbedingter Migration. Schließlich ist Migrationssteuerung in weiten Teilen weiterhin eine nationalstaatliche Angelegenheit. Handlungsansätze, die auf nationaler Ebene erprobt wurden, können dann auch auf den regionalen und internationalen Kontext übertragen werden. Den politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern in Deutschland schlägt der SVR eine Kombination aus drei Instrumenten vor: dem Klima-Pass, der Klima-Card und dem Klima-Arbeitsvisum.

1. Der Klima-Pass

Der Klima-Pass ist das aufenthaltsrechtlich robusteste der drei Instrumente. Den ursprünglichen Vorschlag des WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen) hat der SVR weiter konkretisiert. So könnten Staatsangehörige von Ländern, die direkt vom Klimawandel betroffen sind und durch diesen ihr gesamtes Territorium verlieren, einen solchen Klima-Pass erhalten. Es handelt sich hier um einen eindeutig und eng definierten Personenkreis, der ein humanitäres Daueraufenthaltsrecht in Deutschland erhalten würde – etwa Bürgerinnen und Bürger von untergehenden Pazifikinseln wie Kiribati, den Malediven oder Tuvalu. Diese Inseln werden den Vorhersagen zufolge in absehbarer Zeit vom Meer verschluckt sein. Auf diese Weise könnte Deutschland in Abstimmung mit anderen Industriestaaten Mitverantwortung für den Klimawandel übernehmen.

2. Die Klima-Card

Bei dem zweiten Instrument handelt es sich um eine Klima-Card. Sie richtet sich an Menschen aus Ländern, die vom Klimawandel erheblich betroffen, aber nicht in ihrer Existenz bedroht sind. Die Klima-Card soll ihnen ermöglichen, zunächst befristet nach Deutschland zu kommen. Der Kreis anspruchsberechtigter Personen ist deutlich größer als beim Klima-Pass. Deshalb braucht es eine länderspezifische Kontingentierung, um Zuwanderung über die Klima-Card planbar zu gestalten. Die Auswahl der Länder obliegt dem Aufnahmeland, hier also der deutschen Bundesregierung. Allgemein erfolgt die Umsetzung ähnlich wie bei humanitären Aufnahmeprogrammen. Damit das Instrument der Klima-Card effektiv wirken kann, muss es mit Anpassungsmaßnahmen in den jeweiligen Herkunftsländern kombiniert werden. Ziel ist es, den betroffenen Personen eine Rückkehr zu ermöglichen.

3. Das Klima-Arbeitsvisum

Mit dem Instrument eines Klima-Arbeitsvisums könnte im Bereich der Erwerbsmigration ein neuer Weg beschritten werden: Staatsangehörigen bestimmter Staaten würde der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erleichtert, um ihnen durch eine reguläre Migration neue Einkommensquellen und Perspektiven zu eröffnen. Der Aufenthaltstitel ist an das Vorliegen eines Arbeitsvertrags gekoppelt. Bestimmte Qualifikationen oder Sprachkenntnisse müssen dafür nicht nachgewiesen werden. Als Vorbild könnte hier die sog. Westbalkan-Regelung dienen, die seit 2015 im deutschen Recht verankert ist. Auch bei diesem Instrument ist eine Kontingentierung vorgesehen, um diese Art der Migration planbar zu gestalten und zudem an die Bedarfe des deutschen Arbeitsmarkts anzupassen. Bei der Festlegung sollte die Perspektive betroffener Länder einbezogen werden; die Gefahr eines Braindrains könnte so reduziert werden. Mit der 2023 beschlossenen Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung fand bereits ein Paradigmenwechsel statt. Der Arbeitsmarkt wurde auch für Ausländerinnen und Ausländer geöffnet, die keine nach deutschen Standards gleichwertigen Qualifikationen nachweisen können. Das Klima-Arbeitsvisum könnte sich an diesen Regelungen orientieren und auch Menschen, die von den Folgen des Klimawandels betroffen sind, bei der Vergabe eines Arbeitsvisums berücksichtigen. Zugleich wäre über die Kopplung an den deutschen Arbeitsmarkt gesichert, dass Deutschland als Aufnahmeland nicht überfordert wird.

Folgen des Klimawandels bewältigen: Gesamtstrategie nötig

Die vom SVR empfohlenen Maßnahmen aus dem Spektrum der Migrationspolitik sind als Bausteine einer größeren Gesamtstrategie zu verstehen. Die Folgen des menschengemachten Klimawandels erfordern rasches Handeln auf allen politischen Ebenen und in vielen Politikfeldern, aber auch in Wirtschaft und Gesellschaft. Entscheidend wird sein, in welchem Maße und wie schnell es gelingt, den CO2-Ausstoß weltweit zu begrenzen. Zu dieser Gesamtstrategie gehören aber auch die Migrationspolitik, eine Klimaaußenpolitik, die migrationspolitische Aspekte einschließt, eine Entwicklungspolitik, die Anpassungsmaßnahmen umfasst, Länder beim Umgang mit der empirisch dominanten Binnenwanderung unterstützt und Katastrophenhilfe vorsieht. Und dafür braucht es nicht nur Ansätze auf allen politischen Ebenen, sondern auch ein koordiniertes Handeln über Ressortgrenzen hinweg.


LITERATUR
Klimawandel und Migration: was wir über den Zusammenhang wissen und welche Handlungsoptionen es gibt

Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen der Gegenwart. Die Folgen der globalen Erderwärmung sind vielschichtig. Klimawandelbedingte Umweltveränderungen und Extremwetterereignisse verschärfen nicht nur bestehende soziale, ökonomische oder politische Problemlagen, sondern erhöhen auch den Migrationsdruck. Klimawandelbedingte Migration nimmt zu. Der SVR hat in seinem 14. Jahresgutachten untersucht, wie der Klimawandel das globale, regionale und lokale Migrationsgeschehen beeinflusst und welche Erfordernisse sich hieraus für migrations- und flüchtlingspolitisches Handeln ergeben. Für den politischen Umgang mit klimawandelbedingter Migration empfiehlt der SVR, das gesamte migrationspolitische Instrumentarium zu nutzen. Dazu gehören Maßnahmen aus der Flüchtlingspolitik, wie die Vergabe von humanitären Visa, eine temporäre Schutzgewährung oder auch die Aussetzung von Rückführungen in betroffene Länder und Regionen, sowie Ansätze aus der Migrationspolitik wie regionale Abkommen zur Personenfreizügigkeit. Mit drei Instrumenten – dem Klima-Pass, der Klima-Card und dem Klima-Arbeitsvisum – kann die Bundesregierung zudem international eine Vorreiterrolle einnehmen. Die vom SVR empfohlenen Maßnahmen sind dabei als Bausteine einer größeren Gesamtstrategie zu verstehen, die alle politischen Ebenen, die Wirtschaft und die Gesellschaft umfasst und ein koordiniertes Handeln über Ressortgrenzen hinweg erfordert.

→ SVR 2023: Klimawandel und Migration: was wir über den Zusammenhang wissen und welche Handlungsoptionen es gibt. SVR-Jahresgutachten 2023, Berlin.