Migrantenorganisationen als Partner von Politik und Zivilgesellschaft
Über das Projekt
Migrantenorganisationen sind wichtig für Politik und Gesellschaft: Sie engagieren sich zum Beispiel für das Zusammenleben in Deutschland und vertreten die Interessen von Menschen mit Migrationsgeschichte. Es bestehen aber noch Wissenslücken, die es erschweren, eine systematische Kooperation mit Migrantenorganisationen und ihre zielgerichtete Förderung umfassend zu realisieren:
- Wie viele Migrantenorganisationen gibt es?
- In welchen Bereichen arbeiten sie?
- Was ist Migrantenorganisationen wichtig?
- Vor welchen Herausforderungen stehen Migrantenorganisationen?
- Welche Ziele haben sie?
- Wie können sie besser gefördert werden?
Um einen Beitrag zur Schließung dieser Wissenslücken zu leisten, hat der SVR-Forschungsbereich von Oktober 2018 bis Dezember 2020 ein Forschungsprojekt mit überregionalem Fokus durchgeführt. Das Projekt untersuchte die Landschaft der Migrantenorganisationen im Hinblick auf ihre Größe, Aktivitätsfelder, Mitgliederstruktur und Funktionswahrnehmung. Ein wichtiges Ziel bestand darin, Ansätze für eine Verbesserung der Zusammenarbeit von Migrantenorganisationen mit Politik, Verwaltung und zivilgesellschaftlichen Organisationen aufzuzeigen.
Wie war das Vorgehen?
Für das Projekt wurde zuerst eine vollständige Auflistung der Migrantenorganisationen in vier Bundeländern durchgeführt: Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Sachsen. Auf dieser Basis erfolgte eine Schätzung der bundesweiten Gesamtzahl. In einem zweiten Schritt wurden alle Migrantenorganisationen in den vier Modellregionen sowie die überregional tätigen Migrantendachverbände zur Beteiligung an einer standardisierten Onlinebefragung aufgerufen, an der sich 764 Organisationen beteiligten. Die Befragung wurde Anfang 2020 durchgeführt.
Für eine vertiefte qualitative Auswertung führte das Forschungsteam 17 leitfadengestützte Interviews mit ausgewählten Vertreterinnen und Vertretern von Migrantenorganisationen. Darüber hinaus erfolgte eine Bestandsaufnahme der Förderlandschaft für Migrantenorganisationen auf Bundes- und Landesebene. Hierfür wurden 18 leitfadengestützte Interviews mit den in den Landesministerien für Integration zuständigen Ansprechpersonen sowie (wo vorhanden) zusätzlich mit den Landesintegrationsbeauftragten geführt wurden. Alle Bundesländer beteiligten sich an dieser Erhebung.
Die inhaltlichen Schwerpunkte, das Vorgehen und die zentralen Ergebnisse des Forschungsprojekts wurden unter anderem in drei projektbegleitenden Expertenworkshops mit Vertreterinnen und Vertretern von Migrantenorganisationen und Migrantendachverbänden diskutiert. Die Hinweise und das konstruktive Feedback der Mitwirkenden (auch bei der Erstellung des Fragebogens für die Onlinebefragung und der Verbreitung der Befragung) leisteten einen substanziellen Beitrag zur erfolgreichen Durchführung der Studie.
Ausgewählte Ergebnisse
- Migrantenorganisationen arbeiten meist in vielen Feldern gleichzeitig. Sie haben aber Schwerpunkte im sozialen Bereich, in der Bildung, der Beratung, der Unterstützung von Geflüchteten und beim interkulturellen Austausch.
- Geht man vom Selbstverständnis der Organisationen aus, lässt sich die Landschaft der Migrantenorganisationen in drei Typen einteilen: multifunktional teilhabeorientierte Organisationen, kulturpflegende Organisationen und Organisationen, die politische Interessen vertreten.
- Migrantenorganisationen sind heute professioneller aufgestellt, als frühere Untersuchungsergebnisse nahelegen. Sie sind zudem eingebunden in ein Netzwerk von zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteurinnen und Akteuren.
- Migrantenorganisationen stellen häufig Förderanträge und sind damit verhältnismäßig erfolgreich. Gefördert werden vor allem Tätigkeiten, die sich gezielt auf Integration beziehen.
- Migrantenorganisationen sollten stärker in allgemeine fachliche Strukturen eingebunden werden, die nicht auf ihren Migrationshintergrund bezogen sind. Förderprogramme sollten sie dabei unterstützen.
Was versteht der SVR-Forschungsbereich unter Migrantenorganisationen?
Der SVR-Forschungsbereich versteht unter Migrantenorganisationen gemeinnützige Zusammenschlüsse, die mindestens zur Hälfte von Menschen mit Migrationshintergrund getragen werden oder die von entsprechenden Personen gegründet wurden und bei denen für ihr Selbstverständnis, ihre Ziele und Aktivitäten eine Migrationserfahrung im weitesten Sinne zentral ist; das heißt, es gibt einen starken Bezug zu einem gemeinsamen Herkunftsland oder einer Herkunftsregion und/oder dem gesellschaftlichen Zusammenleben in Deutschland.
Entsprechend breit ist das denkbare Spektrum der Ziele und Aktivitäten von Migrantenorganisationen: Es reicht von der Pflege einer gemeinsamen Herkunftskultur oder eines gemeinsamen kulturell-religiösen Hintergrundes über entwicklungspolitisches Engagement für eine bestimmte Herkunftsregion bis zu Engagement für gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland, Empowerment und den Kampf gegen Rassismus.
Alle Organisationen, die diesen Kriterien entsprechen, wurden für das Forschungsprojekt unabhängig von ihren sonstigen inhaltlichen Schwerpunkten, wie etwa Religion, Sport oder Bildung, untersucht. Weitere Informationen zur Frage den Herausforderungen einer Definition von Migrantenorganisationen liefert auch der Policy Brief Anerkannte Partner – Unbekannte Größe? Migrantenorganisationen in der deutschen Einwanderungsgesellschaft, der 2019 im Rahmen des Projekts erschienen ist.
Die Forschungsergebnisse wurden im Dezember 2020 in Form einer Studie unter dem Titel Vielfältig engagiert – breit vernetzt – partiell eingebunden? Migrantenorganisationen als gestaltende Kraft in der Gesellschaft veröffentlicht.
Das Vorhaben wurde gefördert vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat.