Erhebliche Bedenken: Stellungnahme zur Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten
Der Vorsitzende des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR), Prof. Dr. Hans Vorländer, und Prof. Dr. Winfried Kluth, Mitglied des SVR, wurden vom Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) eingeladen, aus Anlass eines Austausches von Sachverständigen im BMI im März 2024 Stellung zu den Möglichkeiten einer rechtskonformen Auslagerung von Asylverfahren in sichere Drittstaaten zu nehmen. Die im Nachgang des Gesprächs dem Ministerium übermittelte heute veröffentlichte gemeinsame Stellungnahme beider macht erhebliche Bedenken geltend.
Berlin, 13. Juni 2024. Der SVR-Vorsitzende Prof. Dr. Hans Vorländer erläutert:
„Die bisherigen Vorschläge zu einer Externalisierung von Asylverfahren werfen erhebliche politische, juristische und operative Fragen auf. Hierzu hat sich der SVR bereits wiederholt geäußert. Das gilt vor allem für die Beachtung des in der Genfer Flüchtlingskonvention verankerten Prinzips der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement-Gebot). Aber auch das Verbot der kollektiven Ausweisung sowie der Anspruch auf Zugang zu effektivem Rechtsschutz ist zu beachten. Hier gibt es völkerrechtliche Verpflichtungen, die wahrgenommen werden müssen.
Maßgeblich für die Auslagerung von Asylverfahren wäre, dass die menschen- und asylrechtlichen Standards gewahrt werden. Die Suche nach Partnerstaaten gestaltet sich deshalb außerordentlich schwierig. Asylverfahren in einem Drittstaat sind schließlich davon abhängig, ob dort politische Stabilität herrscht und es sich um einen Verfassungs- und Rechtsstaat handelt, der darüber hinaus über eine funktionierende Versorgungs- und Bildungsinfrastruktur verfügt. Eine entsprechende Einstufung ist voraussetzungsreich, die regelmäßige Überprüfung notwendig. Die politische Lage in einem Drittstaat kann sich schließlich im Laufe der Zeit oder bei Machtwechseln ändern. Bei negativen Auswirkungen auf die menschen- und asylrechtliche Situation müsste entsprechend reagiert werden. Zudem sind die politischen Folgen nicht zu unterschätzen, die mit entsprechenden Vereinbarungen einhergehen können. Hier warnen wir vor einer allzu großen politischen Abhängigkeit von Drittstaaten.
Auch ist das Interesse von Drittstaaten, Aufnahmezentren zu etablieren, höchst überschaubar. Bislang jedenfalls haben sich hierzu mit Ruanda und Albanien nur wenige Länder bereit erklärt. Auch die praktischen Konsequenzen einer solchen Verlagerung sind völlig unklar. So könnten derartige Zentren einen Pull-Effekt haben und die Antragszahlen eher vergrößern.“
Zu rechtlichen Fragen äußert sich außerdem SVR-Mitglied Prof. Dr. Winfried Kluth:
„Eine mit EU-Recht in Einklang stehende Ausgestaltung externer Asylzentren ist in vielerlei Hinsicht voraussetzungsreich. Der Teufel steckt hier im Detail. Maßgeblich ist, dass bei der Auslagerung von Asylverfahren die Anforderungen der Genfer Flüchtlingskonvention und der Menschenrechte gewahrt werden. Es reicht dabei nicht, dass ein Drittstaat die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert hat. Es muss auch geprüft werden, ob das darin festgeschriebene Prinzip der Nichtzurückweisung tatsächlich eingehalten wird.
Wird nicht nur das Asylverfahren, sondern auch die anschließende Aufnahme ausgelagert, gelten weitere Bedingungen: Schutzsuchende sollten nicht ohne nachvollziehbare Gründe auf Staaten verwiesen werden, die sie nicht selbst als Zielstaat gewählt haben. Es muss ein Verbindungselement geben. Das ist ein menschenrechtlich bedeutsamer Aspekt, der innerhalb der EU bislang sekundärrechtlich abgesichert ist. Das sog. Ruanda-Modell, wie es derzeit die britische Regierung verfolgt, würde demnach den aktuellen unionsrechtlichen Anforderungen nicht entsprechen. Zudem steht eine vollständige Externalisierung der Schutzgewährung aus Sicht des SVR im Widerspruch zu dem Bekenntnis der EU, selbst einen Flüchtlingsschutz nach dem Maßstab der Genfer Flüchtlingskonvention zu leisten und sich an der internationalen solidarischen Übernahme der Lasten zu beteiligen. Die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union in Fragen der Menschenrechte würde nachhaltig erschüttert. Schließlich können auch die besten Verträge mit Drittstaaten rechtsstaatliche Verhältnisse in diesen Staaten nicht dauerhaft in der gleichen Weise garantieren wie dies auf EU-Territorium der Fall wäre.“
Der SVR-Vorsitzende Prof. Dr. Hans Vorländer hält abschließend fest:
„Die Auslagerung von Asylverfahren schafft eine paradoxe Lage: Sollten weitere EU-Mitgliedstaaten dem Beispiel Italiens folgen und nationale Abkommen mit einzelnen Drittstaaten abschließen, besteht die Gefahr einer Fragmentierung, gar einer Renationalisierung des europäischen Asylregimes. Andererseits können externe Asylzentren nicht alleine von der Europäischen Union geführt werden, denn es sind die Mitgliedstaaten, die Schutz gewähren, nicht die EU.“
Die Stellungnahme der Sachverständigen Prof. Vorländer und Prof. Kluth ist hier abrufbar.