SVR: Familiennachzug fördert Integration von Schutzberechtigten
„Familiennachzug ist integrationspolitisch sinnvoll“, konstatiert der Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), Prof. Dr. Thomas Bauer. „Deshalb sollten mindestens diejenigen subsidiär Schutzberechtigten, die bereits in Deutschland leben und hier seit mehreren Jahren von ihren Angehörigen getrennt sind, enge Familienangehörige zu sich holen können. Eine weitere Aufgabe besteht nach wie vor darin, die Visaverfahren zu verbessern.“
Berlin, 29. Januar 2018. Die Fraktionen des Deutschen Bundestags haben in den vergangenen Wochen Gesetzesentwürfe vorgelegt, die den Familiennachzug zu subsidiär schutzberechtigten Flüchtlingen regeln sollen. Für diese Gruppe wurde der Familiennachzug im März 2016 für zwei Jahre ausgesetzt. Im Hauptausschuss findet heute Vormittag eine Sachverständigenanhörung dazu statt.
Aus diesem Anlass kommentiert der Vorsitzende des SVR, Prof. Dr. Thomas Bauer, die bisherigen Vorschläge sowie das diesbezügliche Ergebnis der Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD: „Der SVR begrüßt die grundsätzliche Absicht der Mehrheit der Parteien, den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte wieder zuzulassen. Das Recht auf Familie zählt zu den Grund- bzw. Menschenrechten, auch wenn das kein Individualrecht auf Familiennachzug begründet. Die vorübergehende Aussetzung des Familiennachzugs für diese Gruppe war als Reaktion auf die sehr hohen Zuzugszahlen der Jahre 2015 und 2016 zu rechtfertigen. Die Zuzugszahlen sind mittlerweile jedoch deutlich zurückgegangen. Gleichzeitig ist absehbar, dass viele der Flüchtlinge mit subsidiärem Status angesichts der Lage in ihren Herkunftsländern vorläufig in Deutschland bleiben werden. Für diese Personen wäre eine weitere Aussetzung des Familiennachzugs integrationspolitisch hinderlich. Die Sorge um Angehörige erschwert es, innerlich anzukommen und sich etwa um Spracherwerb und Arbeit zu bemühen. Der SVR hat sich daher dafür ausgesprochen, von einer dauerhaften Aussetzung abzusehen. Es sollte rasch eine Neuregelung geschaffen werden, um auch subsidiär Schutzberechtigten den Nachzug der Kernfamilie zu ermöglichen. Dies könnte grundsätzlich an bestimmte Bedingungen geknüpft werden; aus rechtlicher Sicht verfügt der Gesetzgeber hier über einen – freilich nicht absoluten – Spielraum. Ein positiver Nebeneffekt bestünde darin, dass es weniger Anreize gäbe, gegen den subsidiären Status zu klagen. Derzeit sind die Verwaltungsgerichte mit solchen Klagen überlastet.
Zudem sollte das Visavergabeverfahren optimiert und das Personal in den entsprechenden deutschen Auslandsvertretungen ggf. aufgestockt werden. Dafür spricht auch mit Blick auf betroffene Kinder die Kinderrechtskonvention, die „eine wohlwollende, humane und beschleunigte Bearbeitung“ (Art. 10 Abs. 1 KRK) verlangt. Derzeit bestehen lange Warte- und Bearbeitungszeiten für Nachzugsberechtigte. Durch die Asylverfahren, die teilweise sehr langen Wartezeiten, bis enge Angehörige einen Termin zur Antragsstellung in einem Konsulat bekommen, sowie die langen Bearbeitungszeiten bei Visaanträgen beläuft sich die faktische Trennung von Familienangehörigen in der Praxis oft auf mehrere Jahre. Der SVR empfiehlt daher, die Effizienz und Transparenz der Visavergabeverfahren zu optimieren.
Sollte die vom SVR als wünschenswert erachtete Rückkehr zum Status quo ante politisch nicht durchsetzbar sein, wäre eine unterschiedliche Regelung für bereits im Land befindliche und zukünftig hinzukommende subsidiär Schutzberechtigte als Kompromisslösung denkbar: Für diejenigen subsidiär Schutzberechtigen, die bereits seit mehreren Jahren in Deutschland leben, sollte die Integration im Zentrum stehen. Für sie sollte der Familiennachzug ermöglicht werden. Für jene, die nach einem zu benennenden Stichtag neu einreisen, könnten restriktivere Regelungen gelten. Angesichts der Auswirkungen von Regelungen zum Familiennachzug auf künftige Migrationsbewegungen und auch auf die Integration von Zuwanderinnen und Zuwanderern in Deutschland ist eine konstruktive Lösung anzustreben, die sowohl den Interessen subsidiär Schutzberechtigter Rechnung trägt als auch dem grundsätzlich legitimen staatlichen Anspruch, Migration zu steuern, um Integration zu erleichtern.“
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Über den Sachverständigenrat
Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration geht auf eine Initiative der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung zurück. Ihr gehören sieben Stiftungen an. Neben der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung sind dies: Bertelsmann Stiftung, Freudenberg Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Stifterverband und Vodafone Stiftung Deutschland. Der Sachverständigenrat ist ein unabhängiges und interdisziplinär besetztes Expertengremium, das zu integrations- und migrationspolitischen Themen Stellung bezieht und handlungsorientierte Politikberatung anbietet. Die Ergebnisse seiner Arbeit werden in einem Jahresgutachten veröffentlicht.
Dem SVR gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Thomas K. Bauer (Vorsitzender), Prof. Dr. Hacı Halil Uslucan (Stellvertretender Vorsitzender), Prof. Dr. Petra Bendel, Prof. Dr. Claudia Diehl, Prof. Dr. Viola B. Georgi, Prof. Dr. Christian Joppke, Prof. Dr. Sieglinde Rosenberger, Prof. Dr. Daniel Thym und Prof. Dr. Hans Vorländer.