Einbürgerung von Flüchtlingen: Politik und Verwaltung müssen auf wachsendes Potenzial reagieren
Die Integration der Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien ist gut vorangeschritten. Dies wird inzwischen auch an deutlich steigenden Einbürgerungszahlen sichtbar. Mit Hilfe verschiedener Projektionsmodelle hat der wissenschaftliche Stab des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR) die Zahl der Einbürgerungen bis 2028 geschätzt. Demnach müssen sich Politik und Verwaltung in Ländern und Kommunen auf erheblich mehr Anträge einstellen. Um Antragsstau und Frustration zu vermeiden, sollten die Einbürgerungsbehörden personell besser ausgestattet werden und Investitionen in Digitalisierung und Beratung angehen; der Bund sollte die Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht aktualisieren.
Berlin, 29. Juni 2022. Rund 131.600 Ausländerinnen und Ausländer erhielten im Laufe des Jahres 2021 die deutsche Staatsbürgerschaft. Das sind 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Dieser außergewöhnliche Anstieg ist vor allem auf die hohe Zahl an Einbürgerungen syrienstämmiger Geflüchteter zurückzuführen: Etwa 19.100 Syrerinnen und Syrer erhielten ihre Einbürgerungsurkunden – fast dreimal so viele wie 2020. Dieser Trend wird voraussichtlich anhalten. Das legt eine Untersuchung des wissenschaftlichen Stabs des SVR nahe, in der das Einbürgerungsaufkommen in drei verschiedenen Szenarien für die nächsten Jahre hochgerechnet wird.
„Wir beobachten bei der Gruppe der Geflüchteten aus Syrien eine weit überdurchschnittliche Motivation zur Einbürgerung. Gleichzeitig erfüllen sehr viele von ihnen mittlerweile die dafür nötigen Voraussetzungen“, erläutert Dr. Jan Schneider, Leiter des wissenschaftlichen Stabs des SVR und Co-Autor des Policy Briefs. „Unter sehr zurückhaltenden Annahmen ist im Zeitraum 2022 bis 2024 mit etwa 39.000 Einbürgerungen von syrienstämmigen Geflüchteten zu rechnen. Bliebe die derzeitige Dynamik erhalten, könnten es im gleichen Zeitraum sogar 157.000 werden – vorausgesetzt, die Behörden können eine solch hohe Anzahl von Anträgen ohne massive Verzögerungen überhaupt bearbeiten.“ Das prognostizierte Einbürgerungsaufkommen würde zusätzlich zu dem in letzter Zeit üblichen Volumen von etwa 110.000 Einbürgerungen pro Jahr entstehen, so Schneider.
Ein Großteil der in den Jahren 2015 und 2016 nach Deutschland geflüchteten Menschen wird bis 2024 die für eine Einbürgerung vorausgesetzte Mindestaufenthaltsdauer erreichen. Gleichzeitig ist derzeit anzunehmen, dass auch weitere Kriterien erfüllt sein werden. „Insgesamt zeigt sich, dass die Integration vieler Geflüchteter schnell vorangeschritten ist. Besonders die rege Teilnahme an Integrationskursen und anderen sprachfördernden Maßnahmen macht sich bezahlt: Rund drei von zehn Einbürgerungen von Syrerinnen und Syrern erfolgten bereits nach sechs Jahren Aufenthalt in Deutschland“, so Schneider. Auch bei der Arbeitsmarktintegration seien viele Fortschritte erzielt worden. „Obwohl es zu Beginn der Corona-Pandemie messbare Rückschläge gab, weist die Erwerbsstatistik unter Geflüchteten seit Sommer 2020 wieder eine positive Entwicklung auf. Der Anteil der Hartz IV-Beziehenden ist zurückgegangen und die Zahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter aus den Hauptherkunftsländern von Asylsuchenden wuchs zuletzt deutlich. Das zeigt: Geflüchtete haben flexibel auf die konjunkturelle Entwicklung reagiert und sich zum Teil beruflich umorientiert.“
Nun gelte es, die Kapazitäten in den Einbürgerungsbehörden zu erhöhen. „Die Wartezeiten sind jetzt schon teilweise sehr lang und die zuständigen Behörden vielfach personell unterbesetzt. Sie stehen damit vor großen Herausforderungen“, so Schneider. Neben der Aufstockung von Planstellen sollten Länder und Kommunen überlegen, ob und wo zentrale Einbürgerungsbehörden durch Spezialisierung und Arbeitsteilung die Effizienz erhöhen könnten. Auch die derzeit erprobte digitale Vorprüfung der Einbürgerungsunterlagen mit einem sog. „Quick-Check“ und die Möglichkeit zur Online-Antragstellung könnten Arbeitsprozesse beschleunigen. Dennoch bleibe erheblicher Personalmehrbedarf. „Einbürgerungsverfahren sind oft komplex; hier ist weiterhin persönliche Beratung gefragt. Auch die Vorbereitung und Umsetzung von Einbürgerungskampagnen und feierliche Einbürgerungszeremonien erfordern mehr Behördenpersonal.“ Vor allem die Länder und Kommunen seien hier in der Pflicht, doch auch die Bundesregierung könne wichtige Beiträge leisten.
„Nach mehr als 20 Jahren muss die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht endlich aktualisiert werden. Hier könnte der Bund die Länder bei der Ausübung ihrer Aufgaben maßgeblich unterstützen und für mehr Einheitlichkeit und Transparenz sorgen“, erläutert Dr. Jan Schneider. Auch sollte die im Koalitionsvertrag vorgesehene Einbürgerungskampagne eng mit den Ländern abgestimmt und nicht ohne zeitlichen Vorlauf lanciert werden. „Länder und Kommunen müssen rechtzeitig Personal in ausreichendem Maße gewinnen. Dies gilt umso mehr mit Blick auf die von der Ampel-Koalition geplanten Reformen des Staatsangehörigkeitsrechts – denn die könnten einen zusätzlichen Einbürgerungsboom auslösen“, mahnt Schneider.
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Über den Sachverständigenrat
Der Sachverständigenrat für Integration und Migration ist ein unabhängiges und interdisziplinär besetztes Gremium der wissenschaftlichen Politikberatung. Mit seinen Gutachten soll das Gremium zur Urteilsbildung bei allen integrations- und migrationspolitisch verantwortlichen Instanzen sowie der Öffentlichkeit beitragen. Dem SVR gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Petra Bendel (Vorsitzende), Prof. Dr. Daniel Thym (Stellvertretender Vorsitzender), Prof. Dr. Viola B. Georgi, Prof. Dr. Marc Helbling, Prof. Dr. Birgit Leyendecker, Prof. Dr. Steffen Mau, Prof. Panu Poutvaara, Ph.D., Prof. Dr. Sieglinde Rosenberger und Prof. Dr. Hans Vorländer.
Der wissenschaftliche Stab unterstützt den Sachverständigenrat bei der Erfüllung seiner Aufgaben und betreibt darüber hinaus eigenständige, anwendungsorientierte Forschung im Bereich Integration und Migration. Dabei folgt er unterschiedlichen disziplinären und methodischen Ansätzen. Die Forschungsergebnisse werden u. a. in Form von Studien, Expertisen und Policy Briefs veröffentlicht.
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