Die Hotspots auf den griechischen Inseln: Was die EU aus ihren strukturellen Problemen für die gemeinsame Asylpolitik lernen sollte
Die Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln sind seit Jahren überbelegt. Die Menschen dort sind unterversorgt und leben in Unsicherheit. Die sog. Hotspots führen entgegen der Absichten, die sich mit ihnen und der EU-Türkei-Erklärung verbanden, nicht zu schnellen Asyl- und Rückführungsverfahren. Der wissenschaftliche Stab des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR) hat die Gründe für die andauernde Problematik analysiert. Er empfiehlt nationalen und europäische Behörden, die Asylverfahren zu beschleunigen, Integrationsperspektiven auf dem griechischen Festland zu schaffen und systematisch Flüchtlinge in andere EU-Länder umzusiedeln.
Berlin, 16. März 2021. Im Jahr 2015 erklärte die Europäische Kommission die Inseln Chios, Leros, Lesbos, Kos und Samos zu sog. Hotspots. Seitdem unterstützen dort die EU und ihre Agenturen die griechischen Behörden bei der Registrierung und Erstunterbringung von Schutzsuchenden. Um die irreguläre Migration über die Ägäis zu verringern, wurde vor fünf Jahren – am 18. März 2016 – die EU-Türkei-Erklärung verabschiedet, die auch die Hotspots veränderte. Dabei sagte die Türkei u. a. zu, die irregulär auf den griechischen Inseln ankommenden Migrantinnen und Migranten wiederaufzunehmen. Außerdem erklärten die EU-Mitgliedstaaten sich bereit, für jede Person mit syrischer Staatsangehörigkeit, die in die Türkei zurückgeführt wird, eine andere schutzberechtigte Person syrischer Staatsangehörigkeit aus der Türkei aufzunehmen. Zusätzlich sicherte die EU der Türkei finanzielle Unterstützung für die Versorgung der Flüchtlinge in der Türkei zu.
Zum heute veröffentlichten SVR-Policy Brief „‚No more Morias‘? Die Hotspots auf den griechischen Inseln: Entstehung, Herausforderungen und Perspektiven“ des wissenschaftlichen Stabs des SVR erläutert Dr. Jan Schneider, Leiter des Bereichs Forschung beim SVR: „Für die Hotspots auf den Inseln gilt seit der EU-Türkei-Erklärung, dass Schutzsuchende dort nicht nur in der Phase ihrer Aufnahme bleiben müssen, sondern für die gesamte Dauer ihres Asylverfahrens und gegebenenfalls bis zu ihrer Rückführung. Infolgedessen sind die Hotspots chronisch überbelegt, zwischenzeitlich lebten dort rund 38.000 Menschen. Die Infrastruktur ist aber völlig ungeeignet und die Ressourcen reichen bei Weitem nicht aus, um so viele Menschen für längere Zeit angemessen unterzubringen. Das System der Hotspots ist dysfunktional, und die COVID-19-Pandemie ist hier eine besondere Bedrohung.“
Die Autorin des SVR-Policy Briefs, Karoline Popp, hat neben der EU-Türkei-Erklärung und ihren direkten und indirekten Auswirkungen auf die Asylverfahren in Griechenland zwei weitere Faktoren bestimmt, welche die Situation in den Hotspots verursacht haben bzw. verursachen: „Das sind zum einen systemische Herausforderungen der griechischen Politik und Verwaltung und zum anderen Defizite des europäischen Asylsystems, besonders die mangelnde Umverteilung von Flüchtlingen innerhalb Europas.“
Die Europäische Kommission hat am 23. September 2020 ein EU-Migrations- und Asylpaket vorgeschlagen. Darin spielen auch Grenzverfahren eine wichtige Rolle. „Bevor weitere, Hotspot-ähnliche Einrichtungen an den EU-Außengrenzen entstehen, muss die EU aus den strukturellen Problemen in Griechenland lernen: Nationale und europäische Behörden müssen die Kapazitäten für die Erstaufnahme und die Durchführung von Asylverfahren ausbauen sowie Mechanismen schaffen, die die Hotspots verlässlich entlasten“, so Schneider. „Beispielsweise müssen sie für anerkannte Flüchtlinge Integrationsperspektiven auf dem griechischen Festland entwickeln und systematisch Schutzsuchende und Flüchtlinge in andere EU-Länder umsiedeln. Zuallererst sind jedoch humanitäre Maßnahmen dringend erforderlich.“
Sie können den SVR-Policy Brief „‚No more Morias‘?“ unter diesem Link einsehen und herunterladen.
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Die englische Fassung des Policy Briefs erscheint am 30. März 2021.
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Über den Sachverständigenrat
Der Sachverständigenrat für Integration und Migration ist ein unabhängiges und interdisziplinär besetztes Gremium der wissenschaftlichen Politikberatung. Mit seinen Gutachten soll das Gremium zur Urteilsbildung bei allen integrations- und migrationspolitisch verantwortlichen Instanzen sowie der Öffentlichkeit beitragen. Dem SVR gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Petra Bendel (Vorsitzende), Prof. Dr. Daniel Thym (Stellvertretender Vorsitzender), Prof. Dr. Viola B. Georgi, Prof. Dr. Marc Helbling, Prof. Dr. Birgit Leyendecker, Prof. Dr. Steffen Mau, Prof. Panu Poutvaara, Ph.D., Prof. Dr. Sieglinde Rosenberger und Prof. Dr. Hans Vorländer.
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