Was wir über Migrantenorganisationen wissen – und was nicht
Migrantenorganisationen sind selbstverständliche und wichtige zivilgesellschaftliche Akteurinnen. Allerdings ist das Wissen über ihre Anzahl, Formen, Handlungsschwerpunkte, Potenziale und Bedarfe lückenhaft. Ein zweijähriges Projekt des SVR-Forschungsbereichs setzt hier an und untersucht die Landschaft der Migrantenorganisationen. Die Zwischenbilanz zeigt: Migrantenorganisationen decken die gesamte Bandbreite zivilgesellschaftlichen Engagements in Deutschland ab. Eine einheitliche Definition gibt es nicht.
Berlin, 14. November 2019. Migrantenorganisationen sind Teil der Zivilgesellschaft in der Einwanderungsgesellschaft. Sie werden von Politik, Verwaltung und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren zunehmend auch als Partnerinnen vor allem in der Integrationspolitik wahrgenommen. Während sich das Feld der Migrantenorganisationen in den letzten Jahren sehr dynamisch entwickelt hat, war das Forschungsinteresse daran nicht kontinuierlich. Es bestehen daher erhebliche Wissenslücken. Der Forschungsbereich beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) untersucht in einem zweijährigem Projekt die Landschaft der Migrantenorganisationen in Deutschland und erhebt dabei Zahl, Formen, Handlungsschwerpunkte, Potenziale und Bedarfe. Ziel ist es, Empfehlungen dazu zu entwickeln, wie Migrantenorganisationen, Politik sowie die weitere Zivilgesellschaft noch besser zusammenarbeiten und Migrantenorganisationen passender gefördert werden können.
Der Policy Brief „Anerkannte Partner – unbekannte Größe? Migrantenorganisationen in der deutschen Einwanderungsgesellschaft“ gibt einen ersten Überblick, was über die bisherige Entwicklung der Migrantenorganisationen sowie aktuelle Trends bekannt ist. Dafür hat der SVR-Forschungsbereich u. a. zahlreiche Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern von Migrantenorganisationen, Behörden und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen geführt. Eine zentrale Annahme bestätigt sich: Die Migrantenorganisation gibt es nicht. „Migrantenorganisationen sind vielfältig und decken das gesamte Spektrum bürgerschaftlichen Engagements ab“, erklärt Dr. Cornelia Schu, Direktorin des SVR-Forschungsbereichs. „Es reicht von der Pflege einer gemeinsamen Herkunftskultur über entwicklungspolitisches Engagement für eine bestimmte Herkunftsregion bis zum Engagement für gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland.“ Auch in ihrer Arbeitsweise und ihrem Aufbau unterscheiden sich Migrantenorganisationen zum Teil deutlich voneinander. Insofern ist es folgerichtig, dass bis heute keine einheitliche Definition vorliegt.
„Wichtig ist, sich der Ambivalenz des Etiketts ‚Migrantenorganisation’ bewusst zu sein“, ergänzt Dr. Marie Mualem Sultan, wissenschaftliche Projektleiterin. „Einerseits kann die damit vorgenommene Abgrenzung von nicht migrantischen Vereinen unterstreichen, dass echte Chancengleichheit noch nicht erreicht ist. Andererseits liegt ein gewisses Risiko darin, wenn der Unterschied dauerhaft betont wird, obwohl gleichberechtigte Teilhabe unabhängig von der Herkunft angestrebt wird.“ Eine ausgrenzende Wirkung kann es auch haben, wenn Vereine von außen als Migrantenorganisation bezeichnet werden, die sich selbst gar nicht als solche sehen und sich in Zielen und Aktivitäten kaum von nicht migrantischen Vereinen unterscheiden.
Ein weiterer zentraler Befund lautet: Migrantenorganisationen dürfen nicht auf ihren Beitrag zur Integration reduziert werden. Zwar wirken viele dieser Organisationen ganz selbstverständlich auch darauf hin, gleichberechtigte Teilhabe in den verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu verwirklichen. Genau wie bei allen anderen Vereinen speist sich ihre Daseinsberechtigung jedoch auch und vor allem aus ihren sonstigen kulturellen, sozialen, künstlerischen oder bildungsbezogenen Aktivitäten. Diese dürfen nicht abgewertet werden, nur weil sie nicht ausdrücklich auf Integration abzielen. Zugleich muss – in den Organisationen wie auch außerhalb – darüber nachgedacht werden, welche Funktionen Migrantenorganisationen im Integrationsprozess übernehmen können und wollen und welche sie aus integrationspolitischer Sicht übernehmen sollten.
Das Forschungsprojekt „Migrantenorganisationen als Partner von Politik und Zivilgesellschaft“ wird gefördert vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat. Die Veröffentlichung der Abschlussstudie ist für Ende 2020 geplant.
Sie können den Policy Brief hier herunterladen.
Alle Informationen zum Forschungsprojekt finden Sie hier.
Die Pressemitteilung steht Ihnen hier zum Download zur Verfügung.
Ihre Ansprechpartnerin für Presseanfragen:
Dr. Margret Karsch
Kommunikation SVR GmbH
Telefon: 030/288 86 59-18
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Über den Forschungsbereich beim Sachverständigenrat
Der Forschungsbereich beim Sachverständigenrat führt eigenständige, anwendungsorientierte Forschungsprojekte zu den Themenbereichen Integration und Migration durch. Die projektbasierten Studien widmen sich neu aufkommenden Entwicklungen und Fragestellungen. Schwerpunkte der Forschungsvorhaben sind die Themenfelder Bildung und Flucht/Asyl. Der SVR-Forschungsbereich ergänzt die Arbeit des Sachverständigenrats. Die Grundfinanzierung wird von der Stiftung Mercator getragen.
Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration geht auf eine Initiative der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung zurück. Ihr gehören weitere fünf Stiftungen an: Bertelsmann Stiftung, Freudenberg Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Stifterverband und Vodafone Stiftung Deutschland. Der Sachverständigenrat ist ein unabhängiges und interdisziplinär besetztes Expertengremium, das zu integrations- und migrationspolitischen Themen Stellung bezieht und handlungsorientierte Politikberatung anbietet.