SVR schlägt Einwanderungsgesetzbuch vor – Neuregelung der Erwerbsmigration birgt besonderes Potenzial
Um die bestehenden Regelungen transparent zu bündeln, zu systematisieren und zu vereinfachen, sie in einigen Punkten zu ergänzen sowie die damit verbundenen übergeordneten Ziele festzulegen, ist es erforderlich, die Einwanderungspolitik neu zu ordnen. Ein Einwanderungsgesetzbuch (EGB) wäre zudem ein Signal nach innen und nach außen. Die Debatte um ein solches EGB könnte erstens Klarheit darüber schaffen, welche Regelungen gegenwärtig gelten und verändert werden können bzw. sollten, zweitens vermitteln, dass insbesondere im Bereich der Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte ohne akademischen Abschluss noch Handlungsspielraum und Innovationspotenzial bestehen.
Berlin, 19. Oktober 2017. Die Sondierungsgespräche für eine Jamaika-Koalition laufen. Die Positionen der Parteien unterscheiden sich zum Teil erheblich voneinander. Das gilt auch für die Zuwanderungspolitik. Dabei wird von mehreren Seiten ein Einwanderungsgesetz gefordert. Was ein solches tatsächlich regeln könnte und sollte, bleibt allerdings bisweilen unklar. Fest steht, dass sich die Zuwanderung von EU-Bürgerinnen und -bürgern (EU-Recht auf Freizügigkeit) sowie die Bereiche Flucht und Asyl und in Teilen auch Familienzusammenführung, die europarechtlich stark überformt sind, der Steuerung durch die deutsche Gesetzgebung weitgehend entziehen. Ein kluges Erwartungsmanagement ist daher unerlässlich, um Enttäuschungen zu vermeiden.
Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) schlägt vor, die Einwanderungspolitik neu zu ordnen und – mit Ausnahme der EU-Freizügigkeit – alle zuwanderungsrechtlichen Regelungen in einem EGB zu bündeln. Ein solches würde die Komplexität der bestehenden Regelungen durch eine vereinfachte und neu systematisierte Gesetzesstruktur ersetzen. Es würde auch zur Diskussion der wichtigen Fragen beitragen, wie viel Zuwanderung das Land angesichts des demografischen Wandels grundsätzlich benötigt und wie viel Zuwanderung angestrebt wird. Im Zentrum der Neuregelung sollte dabei in einem ersten Schritt die Erwerbsmigration stehen. Hier liegen der größte noch verbleibende Handlungsspielraum und das größte Innovationspotenzial. Das gilt insbesondere für beruflich qualifizierte Fachkräfte ohne akademischen Abschluss.
Für diese Gruppe potenzieller Migrantinnen und Migranten könnte eine solche Weiterentwicklung an drei Punkten ansetzen, die teilweise den gesetzlichen Rahmen überschreiten: Erstens sollte Deutschland die hierzulande etablierten Strukturen der beruflichen Ausbildung in wichtige Herkunftsländer von Erwerbsmigranten ‚exportieren‘. Solche Kooperationen existieren bspw. bereits im Bereich der Krankenpflegeausbildung mit Vietnam. Zweitens sollten bestehende Hürden gesenkt werden, die verhindern, dass Menschen zum Zweck der Ausbildung einwandern. So könnte die Vorrangprüfung für Drittstaatsangehörige, die hier eine betriebliche Ausbildung absolvieren wollen, ggf. auch zeitlich befristet ausgesetzt werden. Drittens sollte das Kriterium der Gleichwertigkeit der im Ausland erworbenen Berufsqualifikation mit einer inländischen qualifizierten Berufsausbildung flexibilisiert werden, und zwar nach der Testphase und Evaluation eines Pilotprojekts. Eine solche Flexibilisierung könnte wie folgt aussehen: Fachkräften mit einer im Ausland abgeschlossenen beruflichen Ausbildung sollte es bei Vorliegen eines Arbeitsvertrags erlaubt sein, auch ohne Gleichwertigkeitsnachweis nach Deutschland zu kommen und hier zu arbeiten, wenn sie das fehlende Gleichwertigkeitskriterium durch mindestens ein Alternativkriterium ausgleichen können. Ein solches Kriterium könnte etwa in Form eines Mindestgehalts oder einer seitens der Arbeitgeber zu leistenden Abschlagszahlung ein finanzielles sein, die Ausübung eines Mangelberufs oder Deutschkenntnisse. Hier wäre die Einführung eines Punktesystems denkbar, eine Erweiterung des Kriterienkatalogs ließe sich aber genauso gut ohne Punktesystem realisieren.
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Über den Sachverständigenrat
Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration geht auf eine Initiative der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung zurück. Ihr gehören sieben Stiftungen an. Neben der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung sind dies: Bertelsmann Stiftung, Freudenberg Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und Vodafone Stiftung Deutschland. Der Sachverständigenrat ist ein unabhängiges und interdisziplinär besetztes Expertengremium, das zu integrations- und migrationspolitischen Themen Stellung bezieht und handlungsorientierte Politikberatung anbietet. Die Ergebnisse seiner Arbeit werden in einem Jahresgutachten veröffentlicht.
Dem SVR gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Thomas K. Bauer (Vorsitzender), Prof. Dr. Hacı Halil Uslucan (Stellvertretender Vorsitzender), Prof. Dr. Gianni D’Amato, Prof. Dr. Petra Bendel, Prof. Dr. Wilfried Bos, Prof. Dr. Claudia Diehl, Prof. Dr. Viola B. Georgi, Prof. Dr. Christian Joppke und Prof. Dr. Daniel Thym.