Presseinformation – Sachverständigenrat

Zum Start der deutschen EU-Ratspräsidentschaft am 1. Juli

Am 1. Juli übernimmt Deutschland in der EU turnusgemäß die Ratspräsidentschaft. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat einen „Neustart“ in der europäischen Asyl- und Migrationspolitik angekündigt. Ihr Vorschlag für einen neuen „Pakt für Migration und Asyl“ verzögert sich aber, weil die EU erst über ihre Finanzen verhandeln will. Dabei geht es nicht nur um das geplante Milliarden-Programm, um die aktuelle Corona-Krise zu bewältigen, sondern auch um den siebenjährigen EU-Finanzplan, der ab 2021 gelten soll. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) plädiert dafür, in den Verhandlungen über den Finanzplan der EU neue Akzente für die Asyl- und Migrationspolitik zu setzen. Darüber hinaus sollte die Bundesregierung die deutsche EU-Ratspräsidentschaft dafür nutzen, die überfällige Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) mit Nachdruck voranzutreiben, um endlich die gravierenden Mängel der gegenwärtigen europäischen Asylpolitik zu beheben.

Berlin, 30. Juni 2020. „Eine ausgewogene Migrations- und Asylpolitik spiegelt sich auch in den Ressourcen wider, die dafür bereitgestellt werden“, sagt Prof. Dr. Petra Bendel, die Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR). „Derzeit wendet die EU etwa doppelt so viel Geld für ihr Grenzmanagement auf, um irreguläre Migration zu reduzieren, wie sie für die Bereiche Asyl, legale Migration, kurzfristige Integrationsmaßnahmen und Rückführungen bereitstellt. Migrationspolitik ist aber mehr als Grenzkontrolle. Die EU sollte ihre Ressourcen gleichmäßiger verteilen und stärker als bisher dafür einsetzen, reguläre Zuwanderungswege auszubauen, Flüchtlinge zu schützen und ihre Integration zu fördern.“

Die Bundesregierung will, dass es künftig bereits an den Außengrenzen Asylprüfungen gibt. Nur Menschen, die voraussichtlich einen Schutzbedarf geltend machen können, sollen nach einem neuen System innerhalb der Europäischen Union verteilt werden und dann im jeweiligen Mitgliedstaat ein reguläres Asylverfahren durchlaufen. Dieser neue Verteilungsmechanismus soll das bisherige „Dublin-System“ ersetzen, wonach Schutzsuchende in den meisten Fällen in dem Land bleiben und einen Asylantrag stellen müssen, in dem sie nachweislich zum ersten Mal europäischen Boden betreten haben. Länder an den Außengrenzen der EU wie Griechenland, Italien und Spanien sind dadurch stärker gefordert als andere Mitgliedstaaten. Bisher ziehen viele Asylantragstellende zudem von dort aus weiter in andere Staaten der EU, weil sie sich anderswo bessere Aufnahmestandards, ein faireres Verfahren, höhere Chancen auf Schutz und bessere Integrationschancen versprechen.

„Gegen Asylverfahren an der EU-Außengrenze ist grundsätzlich nichts einzuwenden“, sagt der Stellvertretende SVR-Vorsitzende Prof. Dr. Daniel Thym. „Vorprüfungen von Asylanträgen in Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen können dazu beitragen, nur diejenigen Personen umzuverteilen, die aufgrund noch festzulegender Kriterien eine größere Anerkennungschance besitzen. Voraussetzung hierfür ist, dass die EU an den Außengrenzen schnellere und faire Verfahren ebenso wie eine angemessene Unterbringung gewährleisten kann. Dies ist aktuell insbesondere auf den griechischen Inseln leider nicht immer der Fall. Europa muss diese Defizite endlich angehen und die Rolle der europäischen Asylagentur stärken. Im Gesetzgebungsverfahren müssen außerdem wichtige Einzelfragen wie die Einreiserlaubnis und die Bewegungsfreiheit geklärt werden.“ 

„Dass Flüchtlinge in Europa je nach Land sehr unterschiedlich behandelt werden, führt zu einer Asyllotterie“, sagt Prof. Dr. Petra Bendel. „Diese Schutzlotterie muss ein Ende haben. Auf mittlere Sicht müssen alle Mitgliedsstaaten der EU schnelle und faire Verfahren gewährleisten und ihre Standards und Schutzquoten angleichen. In vielen Ländern, darunter Griechenland, dauern die Asylverfahren viel zu lange. Auch in ihren Schutzquoten für Antragsteller aus dem gleichen Land unterscheiden sich die Mitgliedstaaten zum Teil erheblich voneinander. Um alle Mitgliedstaaten dazu zu bewegen, einen angemessenen Anteil aller Asylbewerber in der EU aufzunehmen und ihre Verfahren durchzuführen, sollte die EU auf finanzielle Anreize setzen. Staaten, aber auch Städte und Kommunen, die dazu bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen, sollte die EU finanziell unterstützen und ihnen dabei helfen, ihre Asylsysteme auszubauen und Integrationsmaßnahmen zu ergreifen.“

Der SVR erinnert daran, dass nur ein Bruchteil der rund 80 Millionen Flüchtlinge weltweit nach Europa kommt. Vor diesem Hintergrund plädiert er dafür, dass die Mitgliedstaaten der EU ihre „Resettlement“-Programme ausbauen und mehr Flüchtlinge direkt aus Drittstaaten aufnehmen.

Die EU sollte darüber hinaus mehr reguläre Zuwanderungsmöglichkeiten für Menschen ohne Schutzbedarf schaffen, die einwandern möchten, um in Europa zu arbeiten oder eine Ausbildung zu machen. In seinem jüngsten Jahresgutachten hat der SVR vorgeschlagen, Ausbildungspartnerschaften mit afrikanischen Ländern auszubauen und ein temporäres Arbeitsvisum gegen „Kaution“ mit Modellprojekten zu testen. Das könnte helfen, irreguläre Migration aus Afrika nach Europa zu reduzieren, und die Zusammenarbeit mit afrikanischen Herkunftsländern auf eine neue Ebene zu stellen.

Der SVR hat im März 2020 ein ausführliches Positionspapier zur Asyl- und Migrationspolitik der EU veröffentlicht. Dieses Positionspapier finden Sie hier.

Das SVR-Jahresgutachten vom Mai 2020 unter dem Titel „Gemeinsam gestalten: Migration aus Afrika nach Europa“ finden Sie hier.

Die Pressemitteilung steht Ihnen hier zum Download zur Verfügung.

Ihre Ansprechpartner für Medienanfragen:
Daniel Bax und Melissa Koch
Kommunikation SVR GmbH
Telefon: 030/288 86 59-18
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Über den Sachverständigenrat

Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration geht auf eine Initiative der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung zurück. Ihr gehören sieben Stiftungen an. Neben der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung sind dies: Bertelsmann Stiftung, Freudenberg Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Stifterverband und Vodafone Stiftung Deutschland. Der Sachverständigenrat ist ein unabhängiges und interdisziplinär besetztes Expertengremium, das zu integrations- und migrationspolitischen Themen Stellung bezieht und handlungsorientierte Politikberatung anbietet. Die Ergebnisse seiner Arbeit werden in einem Jahresgutachten veröffentlicht. Das SVR-Jahresgutachten 2020 wird gefördert durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat.

Dem SVR gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Petra Bendel (Vorsitzende), Prof. Dr. Daniel Thym (Stellvertretender Vorsitzender), Prof. Dr. Claudia Diehl, Prof. Dr. Viola B. Georgi, Prof. Dr. Christian Joppke, Prof. Dr. Birgit Leyendecker, Prof. Panu Poutvaara, Ph.D., Prof. Dr. Sieglinde Rosenberger und Prof. Dr. Hans Vorländer.

Weitere Informationen unter: www.svr-migration.de