Gesetzentwurf zur Ausreisepflicht geht bei Verschärfungen zu weit und greift bei geförderter Rückkehr zu kurz
SVR bewertet den Gesetzentwurf zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht kritisch. Die geplante Ermächtigung der Bundesländer, die Unterbringung von Asylbewerbern in Erstaufnahmeeinrichtungen auszuweiten, bietet erheblichen Auslegungsspielraum für die Länder und kann zu unterschiedlicher Verwaltungspraxis führen. Bei der geförderten freiwilligen Rückkehr abgelehnter Asylbewerber bleibt der Gesetzentwurf hinter den Erfordernissen zurück.
Berlin, 22. März 2017. Der Gesetzentwurf zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vermischt verschärfte Regelungen zur Abschiebungshaft für sog. Gefährder (als Reaktion auf den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt) mit Aspekten, die Asylsuchende generell betreffen, wie eine mögliche Ausweitung der Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen und die Förderung der freiwilligen Rückkehr.
Der SVR verweist darauf, dass das geltende Recht bereits Möglichkeiten der Abschiebungshaft bietet. Diese wurden in der Vergangenheit allerdings nicht immer ausgeschöpft. Es wäre sinnvoll, zunächst die bestehenden Möglichkeiten der Abschiebungshaft konsequent zu nutzen bzw. die Ursachen für eine zurückhaltende Anwendung zu untersuchen, bevor eine weitere Verschärfung erfolgt. Dass Gefährder rasch abgeschoben werden sollten und die Hindernisse hierfür anzugehen sind, befürwortet der SVR jedoch.
Über die Gruppe der sog. Gefährder hinaus enthält der Gesetzentwurf auch Regelungen für Asylsuchende generell. So soll der neu gefasste § 47 Abs. 1b AsylG die Länder ermächtigen, dass „Ausländer [abweichend von Absatz 1] verpflichtet sind, bis zur Entscheidung des Bundesamtes über den Asylantrag und im Falle der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet oder als unzulässig bis zur Ausreise oder bis zum Vollzug der Abschiebungsandrohung oder -anordnung in der für ihre Aufnahme zuständigen Aufnahmeeinrichtung zu wohnen“. Laut Begründung soll sich diese Möglichkeit vor allem auf Asylbewerber „ohne Bleibeperspektive“ beziehen, ohne dass näher definiert wird, was darunter zu verstehen ist.
Bislang gilt die Verpflichtung, bis zur Entscheidung über den Asylantrag bzw. bis zur Abschiebung in der Erstaufnahmeeinrichtung zu leben, auch wenn diese Frist länger als sechs Monate dauert, nur für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten (§ 47 Abs. 1a AsylG). Der Gesetzentwurf weitet dies nun auf alle Personen aus, deren Asylantrag als unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgelehnt werden soll. Das garantiert nicht, dass die Neuregelung nur für Personen gilt, deren Ausreise tatsächlich wahrscheinlich ist. So greift die Norm auch dann, wenn ein Asylverfahren länger als sechs Monate dauert, sowie, unabhängig von der Verfahrensdauer, für alle Dublin-Fälle oder bei Personen, die über ihre Identität täuschen.
„Diese generelle Ermächtigung der Bundesländer sieht der SVR aus mehreren Gründen kritisch“, sagte Prof. Dr. Thomas Bauer, Vorsitzender des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR). Zum einen ist die Bestimmung sehr generell gefasst, weil sich der Gesetzeswortlaut auf alle Asylbewerber bezieht und nicht nur auf diejenigen „ohne Bleibeperspektive“. Somit entsteht für die Bundesländer ein erheblicher Auslegungsspielraum. Das birgt die Gefahr, dass in der Verwaltungspraxis erhebliche Unterschiede zwischen den Ländern entstehen, gerade auch bei Dublin-Fällen. Zum zweiten ist ein verlängerter Aufenthalt in Erstaufnahmeeinrichtungen der Integration abträglich. Dies gilt in verschärftem Maße dann, wenn Kinder betroffen sind. Es sollte daher klar definiert werden, wann die Verpflichtung zum Verbleib in einer Aufnahmeeinrichtung endet. Denn bei einem positiven Ausgang des Asylverfahrens geht sonst wertvolle Zeit für erste Integrationsschritte verloren. Darüber hinaus sollten Familien von einem verlängerten Verbleib in Erstaufnahmeeinrichtungen ausgenommen werden, wenn durch die zentrale Unterbringung ein schneller Schulbesuch von Kindern verzögert wird.
Es ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung die freiwillige geförderte Rückkehr abgelehnter Asylbewerber stärken will. Auch die zusätzlichen Mittel im Rahmen des Rückkehrprogrammes StarthilfePlus, das im Februar eingeführt wurde, sind positiv zu bewerten. Kritisch sieht der SVR allerdings, dass das Programm StarthilfePlus einen höheren finanziellen Anreiz für eine Rückkehrförderung vorsieht, wenn sich der Asylbewerber bereits während des laufenden Asylverfahrens und nicht erst danach für eine geförderte Rückkehr entscheidet. Wer sich während des Asylverfahrens für eine freiwillige geförderte Rückkehr entscheidet, erhält 1.200 Euro (pro Person); wer sich nach dem abgelehnten Asylantrag dafür entscheidet, bekommt nur 800 Euro (pro Person). Der SVR hält es für ethisch fragwürdig, bereits während eines laufenden Asylverfahrens den Entscheidungsdruck durch eine degressive Rückkehrförderung zu erhöhen.
Mit Blick auf die z.T. erheblichen Folgen, die der Gesetzesentwurf haben kann, begrüßt der SVR ausdrücklich die vom Bundesrat angeregte fortlaufende Evaluation zur Wirksamkeit der neuen Regelungen. Entscheidend sind nach Auffassung des SVR die Beschleunigung der Asylverfahren und eine menschenwürdige Rückkehrpolitik. Die freiwillige geförderte Rückkehr sollte auch in der Praxis einen klaren Vorrang vor Abschiebungen haben. Hier greift der Gesetzentwurf zu kurz. Für weitere Empfehlungen dazu sei auf die Studie des SVR-Forschungsbereichs „Rückkehrpolitik in Deutschland. Wege zur Stärkung der geförderten Ausreise“ hingewiesen, die am 23. März 2017 veröffentlicht wird.
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Über den Sachverständigenrat
Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration geht auf eine Initiative der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung zurück. Ihr gehören sieben Stiftungen an. Neben der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung sind dies: Bertelsmann Stiftung, Freudenberg Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und Vodafone Stiftung Deutschland. Der Sachverständigenrat ist ein unabhängiges und interdisziplinär besetztes Expertengremium, das zu integrations- und migrationspolitischen Themen Stellung bezieht und handlungsorientierte Politikberatung anbietet. Die Ergebnisse seiner Arbeit werden in einem Jahresgutachten veröffentlicht.
Dem SVR gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Thomas K. Bauer (Vorsitzender), Prof. Dr. Hacı Halil Uslucan (Stellvertretender Vorsitzender), Prof. Dr. Gianni D’Amato, Prof. Dr. Petra Bendel, Prof. Dr. Wilfried Bos, Prof. Dr. Claudia Diehl, Prof. Dr. Viola B. Georgi, Prof. Dr. Christian Joppke und Prof. Dr. Daniel Thym.