SVR empfiehlt ein Aussetzen der Optionspflicht
Seit Jahresbeginn läuft die Entscheidungsfrist für junge Menschen aus, die sich bis zum vollendeten 23. Lebensjahr für die Staatsangehörigkeit der Eltern oder die deutsche Staatsangehörigkeit entscheiden müssen. Erstmals zeigt sich, dass bei der Optionspflicht – wie vom SVR erwartet – problematische und unerwünschte Folgewirkungen eintreten. Ausbürgerungen gegen den Willen der jungen Menschen sind ein integrationspolitisch verheerendes Signal.
Berlin, 11. Januar 2013. Seit Jahresbeginn werden die ersten optionspflichtigen jungen Menschen 23 Jahre alt und müssen bis zu ihrem Geburtstag nachweisen, dass sie aus der anderen Staatangehörigkeit entlassen wurden, um den deutschen Pass behalten zu können. Wenn dieser Nachweis bei Vollendung des 23. Lebensjahres nicht vorliegt und sie keinen Anspruch auf eine Beibehaltung der ausländischen Staatsangehörigkeit haben, verlieren sie automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft. In Verfahren zur Optionspflicht zu Jahresbeginn zeigt sich erstmals, dass dadurch integrationspolitisch unerwünschte Härten für die Betroffenen entstehen.
„Ein Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft gegen den Willen der Betroffenen ist ein integrationspolitisch verheerendes Signal an junge Menschen, die sich grundsätzlich für die deutsche Staatsangehörigkeit entschieden haben, sich aber nicht frühzeitig um die Entlassung aus der anderen Staatsangehörigkeit bemüht haben“, mahnte die SVR-Vorsitzende, Prof. Christine Langenfeld. „Statt ihre Zugehörigkeit zu stärken, schlagen wir diesen jungen Deutschen mit Doppelpass die Tür vor der Nase zu“, sagte die SVR-Vorsitzende.
Die größte Gruppe der Betroffenen sind Jugendliche mit türkischem Migrationshintergrund. Bekannt geworden ist der Fall einer 23 Jahre alten Hanauerin, die in Hessen geboren und aufgewachsen ist und sich für die deutsche Staatsangehörigkeit entschieden hatte. Sie hatte allerdings den Antrag auf Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit so spät gestellt, dass sie den deutschen Behörden zum Stichtag nur ihren Antrag vorlegen konnte, aber noch keine Entscheidung aus der Türkei. Ihr wurde daher die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. In einem solchen Fall kann die deutsche Staatsbürgerschaft nur in einem Einbürgerungsverfahren wieder erlangt werden.
Für die deutschen Behörden entsteht durch die Optionspflicht ein hoher Verwaltungs- und Beratungsaufwand. Denn in jedem Einzelfall sollte beraten werden, wie ab dem 18. Lebensjahr am besten vorgegangen werden kann. Die Optionspflicht betrifft auch junge Menschen, deren Eltern aus einem EU-Staat stammen. Sie können einen Beibehaltungsantrag stellen, um die doppelte Staatsangehörigkeit behalten zu können. Aber auch Nicht-EU-Bürger sollten prüfen, ob in ihrem Fall ein Beibehaltungsantrag möglich ist (z.B. wenn die Herkunftsländer generell nicht aus der Staatsangehörigkeit entlassen wie im Fall des Iran und Syriens). Die Verfahrensdauer für die Entlassung aus der ausländischen Staatsangehörigkeit wird häufig unterschätzt. Zum Teil zieht sich dies über Jahre hin und ist zudem kostenintensiv.
„Die Optionsregelung ist verwaltungstechnisch aufwändig und anfällig für Rechtsstreitigkeiten. Für die Betroffenen führt sie zu Rechtsunsicherheit in der zentralen Frage der Staatsangehörigkeit. Der SVR empfiehlt daher, das Optionsmodell auszusetzen“, sagte die SVR-Vorsitzende Christine Langenfeld. „Das Aussetzen des Optionsmodells sollte genutzt werden, um ein Staatsangehörigkeitsrecht zu entwickeln, das den Anforderungen eines modernen Einwanderungslandes entspricht und zugleich den rechtlichen Problemen der Mehrstaatigkeit Rechnung trägt“, empfahl die SVR-Vorsitzende. Dabei sollte eine Anhäufung von Mehrstaatigkeit in folgenden Generationen vermieden werden. Für die deutsche Staatsangehörigkeit ist beispielsweise in § 4 IV StAG geregelt, dass die Staatsangehörigkeit nicht automatisch an die dritte Generation weitergegeben werden kann: Zieht ein Deutscher ins Ausland, erhält sein im Ausland geborenes Kind (2. Generation) noch die deutsche Staatsangehörigkeit. Das Kind des Kindes (3. Generation) ist jedoch nicht mehr automatisch Deutscher, sondern muss die deutsche Staatsangehörigkeit extra beantragen. Diese Regelung des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts könnte ein Modell für andere Herkunftsländer sein.
Nachteile im Herkunftsland der Eltern, die durch den Verlust der Staatsangehörigkeit entstehen (z.B. beim Erbrecht) können durch gesetzliche Regelungen der Herkunftsländer vermieden werden. Die Türkei hat hier mit der sog. Blauen Karte einen Schritt in die richtige Richtung unternommen. Ehemalige türkische Staatsbürger und ihre gesetzlichen Erben können diese Blaue Karte beantragen, die ihnen wichtige Rechte, wie z.B. das Aufenthalts- oder Erbrecht (nicht jedoch das Wahlrecht) in der Türkei einräumt, die sonst mit Aufgabe der türkischen Staatsangehörigkeit verloren gehen würden. Die Hürden, sich für die deutsche Staatsangehörigkeit zu entscheiden, werden durch solche Regelungen gesenkt.
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PM Aussetzen der Optionspflicht
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Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration geht auf eine Initiative der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung zurück. Ihr gehören sieben Stiftungen an. Neben der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung sind dies: Bertelsmann Stiftung, Freudenberg Stiftung, Gemeinnützige Hertie-Stiftung, Körber-Stiftung und Vodafone Stiftung Deutschland. Der Sachverständigenrat ist ein unabhängiges und gemeinnütziges Beobachtungs-, Bewertungs- und Beratungsgremium, das zu integrations- und migrationspolitischen Themen Stellung bezieht und handlungsorientierte Politikberatung anbietet. Die Ergebnisse seiner Arbeit werden in einem Jahresgutachten veröffentlicht.
Dem Sachverständigenrat gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Christine Langenfeld (Vorsitzende), Prof. Dr. Ludger Pries (Stellvertretender Vorsitzender) sowie Prof. Dr. Gianni D’Amato, Prof. Dr. Thomas K. Bauer, Prof. Dr. Wilfried Bos, Prof. Dr. Heinz Faßmann, Prof. Dr. Yasemin Karakaşoğlu, Prof. Dr. Ursula Neumann und Prof. Dr. Haci Halil Uslucan.