Presseinformation – Sachverständigenrat

SVR: Augenmaß für Folgewirkungen ist umso wichtiger, je grundlegender geplante Gesetzesänderungen sind

Die Beratungen im Bundestag am vergangenen Mittwoch zur Migrationspolitik haben eine Mehrheit für Vorschläge ergeben, die mit dem geltenden Recht nicht vereinbar sind. Dieses Recht mag im Einzelnen verbesserungsbedürftig sein. Die diskutierten Änderungen stellen aber Rechtsprinzipien grundsätzlich in Frage, die normativ gut begründet sind, und lassen zentrale Stellschrauben wie die Behebung von Umsetzungsdefiziten außer Acht.

Berlin, 31. Januar 2025. Aufgrund der am Mittwoch im Bundestag beschlossenen Anträge und der heute anstehenden Fortsetzung der Beratungen zu der geforderten deutlichen Migrationswende sieht sich der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) veranlasst, erneut Stellung zu nehmen. Die geforderten strikten Maßnahmen zur Schließung aller Grenzen sowie der Zurückweisung aller Personen ohne gültige Papiere einschließlich Schutzsuchender verletzen europäisches Recht, das auf der Genfer Flüchtlingskonvention gründet (vgl. Pressemitteilung vom 29. Januar 2025). Der SVR erinnert daran, dass die geltenden rechtlichen Grundlagen des internationalen Flüchtlingsrechts auf den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts basieren. Das gilt vor allem für die Beachtung des in der Genfer Flüchtlingskonvention verankerten Prinzips der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement-Gebot). In Deutschland wurde aus dem gleichen Grund ein Grundrecht auf Asyl in der Verfassung verankert (Art. 16a GG). „Die Grundpfeiler des Flüchtlingsrechts sollten nicht aufgrund von Umsetzungsdefiziten und Einzelereignissen vorschnell verabschiedet werden“, so der SVR-Vorsitzende Prof. Winfried Kluth, „zumal es gerade jetzt auf europäischer Ebene große Offenheit gibt, an den Umsetzungsdefiziten des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) zu arbeiten“.

Besonders bei weitreichenden und präzedenzlosen Änderungen wie es die geplanten Grenzschließungen oder Zurückweisungen sind, ist die Politik zudem zu einer besonderen Sorgfalt bei der Folgenabschätzung verpflichtet. Eine solche hat es bei dem am Mittwoch beratenen Fünf-Punkte-Plan bislang nicht gegeben. Diese hätte gezeigt, dass die Vorhaben so wie angekündigt nicht umsetzbar sein werden. „Die angekündigte Migrationswende kann damit auch jenseits der Frage, ob sie rechtlich angefochten wird, ins Leere laufen, das würde das ohnehin derzeit geschwächte Vertrauen in politische Handlungsfähigkeit verringern und damit das Gegenteil dessen bewirken, was bezweckt wird“, sagt Prof. Kluth.

Der SVR warnt davor, aus schrecklichen Einzeltaten wie in Aschaffenburg im Eilverfahren Schlussfolgerungen abzuleiten, wie es aktuell geschieht. Dies birgt die Gefahr, dass die Lösungen zur vermeintlichen Problembehebung mit einer fundierten nachträglichen Problemanalyse in keinem Zusammenhang mehr stehen. „Wo Vollzugsdefizite und Abstimmungsschwierigkeiten zwischen verschiedenen Behörden einerseits und nicht hinreichend therapierte psychische Erkrankungen oder Traumata andererseits ursächlich sind, ist eine verbesserte Abstimmung der Behörden gefragt und müssen bestehende Defizite in der psychosozialen Versorgung angegangen werden. Eine Verschärfung des Aufenthaltsrechts ist hier nicht das richtige Mittel“, so die stellvertretende SVR-Vorsitzende Prof. Birgit Glorius.

Der SVR erinnert vor den heutigen Beratungen im Bundestag außerdem daran, dass eine parteipolitische Instrumentalisierung von Asylpolitik auch unmittelbare politische Risiken birgt. Die politikwissenschaftliche Forschung hat gezeigt, dass die Übernahme rechter Positionen sich für Parteien der demokratischen Mitte nicht auszahlt. Sie können kaum Kapital für sich daraus schlagen, wenn sie immer restriktivere Maßnahmen fordern.

Die Presseinformation steht unter diesem Link zum Download zur Verfügung.

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Über den Sachverständigenrat
Der Sachverständigenrat für Integration und Migration ist ein unabhängiges und interdisziplinär besetztes Gremium der wissenschaftlichen Politikberatung. Mit seinen Gutachten soll das Gremium zur Urteilsbildung bei allen integrations- und migrationspolitisch verantwortlichen Instanzen sowie der Öffentlichkeit beitragen. Dem SVR gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Winfried Kluth (Vorsitzender), Prof. Dr. Birgit Glorius (Stellvertretende Vorsitzende), Prof. Dr. Havva Engin, Prof. Dr. Marc Helbling, Prof. Dr. Matthias Koenig, Prof. Sandra Lavenex, Ph.D., Prof. Dr. Birgit Leyendecker, Prof. Panu Poutvaara, Ph.D., Prof. Dr. Hannes Schammann.

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