Anlässlich der Koalitionsverhandlungen erklärt die SVR-Vorsitzende Prof. Dr. Christine Langenfeld:
„Deutschland braucht ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht, das den Anforderungen einer Einwanderungsgesellschaft gerecht wird. Die Optionspflicht hat sich als Fehlkonstruktion erwiesen. Sie zwingt in Deutschland geborene junge Menschen, sich bis zu ihrem 23. Lebensjahr zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit und der Staatsangehörigkeit des Herkunftslandes der Eltern zu entscheiden. Das ist integrationspolitisch kontraproduktiv, führt zu einem sehr hohen Verwaltungsaufwand und erzeugt rechtliche Unsicherheit. Der SVR empfiehlt daher Union und SPD, in den Koalitionsverhandlungen die Einführung eines modernen Staatsangehörigkeitsrechts zu vereinbaren, das ohne die Optionspflicht auskommt und trotzdem die – nicht nur rechtstechnischen – Probleme von Mehrstaatigkeit vermeidet. Konkret schlägt der SVR ein Modell einer doppelten Staatsbürgerschaft mit Generationenschnitt vor.
Eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts muss dabei drei aufeinander aufbauende Elemente enthalten bzw. sich wechselseitig bedingende Ziele erfüllen:
1) Die Optionspflicht muss abgeschafft werden. Sie war Teil eines politischen Kompromisses im Jahr 2000, als im Rahmen des Staatsangehörigkeitsgesetzes das ius soli als eigenständiges Prinzip für den Erwerb der Staatsangehörigkeit eingeführt wurde. Aus integrationspolitischer Perspektive ist die Optionspflicht jedoch ein Fehlschlag, weil sie junge Menschen zwingt, sich zwischen der deutschen und der Staatsangehörigkeit ihrer Eltern zu entscheiden.
2) Die doppelte Staatsangehörigkeit wird damit für die in Deutschland geborenen Kinder von Zuwanderern akzeptiert.
3) Zusätzlich ist ein Mechanismus erforderlich, der eine unbegrenzte Weitergabe der Staatsangehörigkeit über das ius sanguinis (Abstammungsprinzip) und damit eine Anhäufung von Mehrfachstaatsangehörigkeiten verhindert. Letzteres wirft nicht nur rechtstechnische, sondern auch demokratietheoretische Probleme auf, wenn etwa in großer Zahl Personen in Staaten wählen können, von deren Gesetzgebung sie kaum oder gar nicht betroffen sind und die bereits ihre Vorfahren verlassen haben. Zudem ist denkbar, dass innenpolitische Konflikte aus dem Herkunftsland exportiert und im Einwanderungsland zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen gemacht werden.
Das SVR-Modell sieht vor, für die Vergabe der Staatsangehörigkeit zusätzlich das Prinzip des Lebensmittelpunktes (ius domicilii) zu etablieren. Dabei bleiben die bislang geltenden Grundsätze zum Erwerb einer Staatsangehörigkeit durch Abstammung (ius sanguinis) oder den Geburtsort (ius soli) unangetastet. Bei der Weitergabe der Staatsangehörigkeit über das ius sanguinis in der Generationenfolge ist allerdings der eigentliche Lebensmittelpunkt (domicilium) ausschlaggebend. Die automatische Weitergabe der Staatsangehörigkeit an die eigenen Kinder in den Fällen, in denen die Auswanderung Generationen zurückliegt, wird im Sinne eines ‚Generationenschnitts‘ gekappt. Das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht sieht seit dem Jahr 2000 in § 4 Abs. 4 eine entsprechende Regelung vor. Zugleich könnte die Option eröffnet werden, die Staatsangehörigkeit des ursprünglichen Herkunftslandes unter erleichterten Bedingungen dennoch zu erwerben.
Notwendig wären aber entsprechende gesetzgeberische Aktivitäten der Herkunftsländer. Die Durchsetzung des Modells der doppelten Staatsangehörigkeit mit Generationenschnitt ist besonders aussichtsreich, wenn es nur bei den Staatsangehörigen jener Herkunftsstaaten praktiziert wird, die ihrerseits zu einer Reform ihres Staatsangehörigkeitsrechts bereit sind. Auf diese Weise wäre sicherstellt, dass die automatische Weitergabe der Staatsangehörigkeit über das ius sanguinis in der Generationenfolge beendet wird.
Das SVR-Modell ist eine wegweisende Lösung jenseits von Optionspflicht und der generellen Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft. Für die Übergangsgenerationen wird die doppelte Staatsangehörigkeit akzeptiert, für die folgenden (z.B. dritten und vierten) Generationen, die außer Urlaubsreisen und Verwandtschaftsbesuchen oftmals keinerlei Beziehungen mehr zum Herkunftsland ihrer Groß- und Urgroßeltern haben, wird die Verlagerung des realen Lebensmittelpunkts und damit der Auswanderungsprozess staatsangehörigkeitsrechtlich nachvollzogen.
Eine solche wegweisende Neuregelung muss flankiert werden von fairen Angeboten für die bereits im Land lebenden Zuwanderer. Das gilt insbesondere für die Gruppe der aktuell optionspflichtigen Jugendlichen und die Gruppe der bereits seit vielen Jahren im Land lebenden älteren Ausländer. Für beide sollte in Form einer Übergangsregelung die doppelte Staatsbürgerschaft ermöglicht werden. Zudem sollten junge Menschen, die aufgrund der Optionspflicht ungewollt ihre deutsche Staatsangehörigkeit verloren haben, die Möglichkeit erhalten, die deutsche Staatsangehörigkeit auf Antrag unbürokratisch wieder zurückzubekommen.”
Die Pressemitteilung können Sie hier herunteladen:
Pressestatement-SVR-zu-Staatsangehörigkeitsrecht
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