SVR-Studie: Förderbedarf für Selbstständige mit Migrationshintergrund unzureichend gedeckt
SVR stellt Studie zur wirtschaftlichen Selbstständigkeit vor: Hoher Bedarf an migrantenspezifischen Förderangeboten bei geringer Transparenz der Förderstrukturen sowie unzureichende Abstimmung von Angebot und Nachfrage
Berlin, 9. September 2010. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) stellte heute im Rahmen eines Workshops mit Experten aus der Förderpraxis für Existenzgründer die Ergebnisse der Studie „Wirtschaftliche Selbstständigkeit als Integrationsstrategie“ vor, die von der Robert Bosch Stiftung gefördert wurde.
Aktuell gibt es 587.000 Selbstständige mit Migrationshintergrund in Deutschland. Die hohen Gründungsraten von Zuwanderern haben großes wirtschaftliches und integratives Potenzial, sie schaffen Arbeits- und Ausbildungsplätze. Die Studie des SVR evaluiert bestehende Förderstrukturen für Gründungsinteressierte und Selbstständige mit Migrationshintergrund. Dazu wurden auch 478 Selbstständige mit türkischem, vietnamesischem und chinesischem Migrationshintergrund befragt. Die Auswertungen zeigen, dass selbstständige Zuwanderer in Deutschland einen hohen Bedarf an speziell auf ihre Bedürfnisse ausgerichteten Förderangeboten haben. Auf dem Weg in die Selbstständigkeit sind Zuwanderer vor allem mit Schwierigkeiten im Umgang mit Behörden (37%), mit Sprachproblemen (28%) und Finanzierungshürden (28%) konfrontiert. Der hohe Beratungsbedarf zeigt sich auch in den Folgen einer hastigen Gründung (44% der Befragten gründen innerhalb von drei Monaten). Trotz dieser Rahmenbedingungen sind allgemeine und insbesondere migrantenspezifische Förderangebote unter den Selbstständigen mit Migrationshintergrund kaum bekannt. Stattdessen ist oft das familiäre Umfeld sowohl eine wichtige Finanzierungsquelle als auch der zentrale Unterstützungsleister.
In Deutschland existiert ein umfangreiches und vielfältiges Angebot zur Unterstützung von Existenzgründungen und Unternehmertätigkeit: Über 50 Migrantenorganisationen, 80 Industrie- und Handelskammern sowie Handwerkskammern bieten ihre Hilfe an. Die Leistungen der öffentlichen Einrichtungen sind jedoch häufig nicht auf die spezifische Ausgangslage von Existenzgründern mit Migrationshintergrund ausgerichtet. Die Situation wird erschwert durch deutliche regionale Unterschiede bei der Anzahl der Förderangebote und deren inhaltlicher Bandbreite: Während norddeutsche Regionen wie Hamburg und Bremen Spitzenplätze einnehmen, sind süd- und ostdeutsche Regionen unzureichend mit migrantenspezifischen Angeboten ausgestattet. Insgesamt ist die Angebotsvielfalt wenig transparent. „Selbstständige mit Migrationshintergrund bleiben unter diesen Bedingungen nicht selten orientierungslos im Förderdschungel“, so der Vorsitzende des Sachverständigenrats, Prof. Dr. Klaus J. Bade, „und dabei werden ausgerechnet migrantenspezifische Organisationen und Einrichtungen von den Selbstständigen kaum als mögliche Unterstützer wahrgenommen. Das muss sich ändern“.
Der hohe Bedarf an spezifischen Beratungsangeboten wird noch gesteigert durch die geringe Bekanntheit der Angebote: „Jeder vierte Unternehmer bleibt bei Schwierigkeiten ohne Unterstützung. Diese Kluft zwischen Angebot und Nachfrage behindert eine effektive Förderung von Unternehmern mit Migrationshintergrund“, so Prof. Dr. Thomas Straubhaar, Mitglied des Sachverständigenrats.
Der Sachverständigenrat empfiehlt daher:
– systematisch ein sog. „Lotsenmodell“ aufzubauen und die Industrie- und Handelskammern (IHK) als „Brückenbauer“ zu etablieren: IHKs als halbstaatliche und bundesweit vertretene Fördereinrichtungen sollten als erste Anlaufstelle für Existenzgründer mit Migrationshintergrund dienen und diese an Organisationen, die auf selbstständige Zuwanderer ausgerichtet sind, weitervermitteln; bereits bestehende Förderangebote für Existenzgründer mit Migrationshintergrund durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit bekannter zu machen;
– den Zugang zu Förderangeboten zu erleichtern durch die Bereitstellung kostenloser und zeitlich flexibler Angebote, mehrsprachiger Erstinformationen sowie Ausfüllhilfen für Formulare in verschiedenen Sprachen; denn die Studie zeigt, dass gerade für neuere Zuwanderungsgruppen mangelhafte Deutschkenntnisse und komplizierte bürokratische Strukturen zentrale Herausforderungen sind;
– ein stärkeres öffentliches Bewusstsein für das wirtschaftliche und integrative Potenzial von Selbstständigen mit Migrationshintergrund zu schaffen und Migrantenorganisationen in ihrer Multiplikatorfunktion zu stärken;
– Beratungsorganisationen zügig interkulturell zu öffnen: Die hohe Gründungsaktivität Selbstständiger mit Migrationshintergrund erfordert eine interkulturelle Sensibilisierung öffentlicher Förderinstitute für Existenzgründer, insbesondere der IHKs, der Handwerkskammern, der Banken, Arbeitsagenturen und Behörden. Migrationsspezifische Schulungen der Mitarbeiter und Gründungsberater sowie die Zertifizierung der Schulungen und Förderangebote sind daher unumgänglich.
Abbildung: Anzahl der Förderangebote nach Regionen in Deutschland
Abbildung: Bekanntheit des Städtespezifischen Beratungsangebot in Berlin, Hamburg und München
Abbildung: Bekanntheit und Bewertung von Beratungseinrichtungen speziell für Selbstständige mit Migrationshintergrund
Die Gesamtauswertung der Studie zur „Wirtschaftlichen Selbstständigkeit als Integrationsstrategie“ des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration finden Sie hier:
svr_bosch_2010__05_20111
Die Pressemitteilung zum Download finden Sie hier:
svr-pm_selbststandigkeit-als-integrationsstrategie
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Dr. Gunilla Fincke
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Über den Sachverständigenrat
Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration geht auf eine Initiative der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung zurück. Ihr gehören acht Stiftungen an. Neben der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung sind dies: Bertelsmann Stiftung, Freudenberg Stiftung, Gemeinnützige Hertie-Stiftung, Körber-Stiftung, Vodafone Stiftung und ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius. Der Sachverständigenrat ist ein unabhängiges und gemeinnütziges Beobachtungs-, Bewertungs- und Beratungsgremium, das zu integrations- und migrationspolitischen Themen Stellung bezieht und handlungsorientierte Politikberatung anbietet. Die Ergebnisse seiner Arbeit werden in einem Jahresbericht veröffentlicht.
Dem SVR gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Klaus J. Bade (Vorsitzender), Prof. Dr. Ursula Neumann (Stellv. Vorsitzende) sowie Prof. Dr. Michael Bommes, Prof. Dr. Heinz Faßmann, Prof. Dr. Yasemin Karakaşoğlu, Prof. Dr. Christine Langenfeld, Prof. Dr. Werner Schiffauer, Prof. Dr. Thomas Straubhaar und Prof. Dr. Steven Vertovec.
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