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Beschulung von Flüchtlingen: passgenaue Konzepte ebnen den Weg zur Integration

Hamburg, März 2018. Schätzungsweise 130.000 jugendliche Flüchtlinge sind seit 2015 ins deutsche Schulsystem eingemündet – ihnen fehlen fast immer Deutschkenntnisse, viele haben ein oder mehrere Schuljahre verpasst und ein Teil ist von Krieg und Flucht traumatisiert. Hinzu kommt, dass insbesondere die in Großstädten lebenden Flüchtlinge häufig sog. segregierte Schulen besuchen, an denen besonders viele sozial benachteiligte Schulkinder zu finden sind. Die Beschulung von geflüchteten Kindern und Jugendlichen stellt Schulen und Bildungspolitik vor große Herausforderungen: Wie kann die Integration dieser Jungen und Mädchen ins hiesige Schulsystem gelingen? Welche Konzepte werden bei der Beschulung von jungen Flüchtlingen erfolgreich eingesetzt? Welche Unterstützung wünschen sich Lehrkräfte von Schulpolitik und -verwaltung? Und nicht zuletzt: Wie kann sichergestellt werden, dass der Lernerfolg geflüchteter Schulkinder nicht langfristig beeinträchtigt wird und sie ihre Potenziale ausschöpfen können?

Vielerorts besuchen junge Flüchtlinge zunächst eine Vorbereitungs- bzw. Willkommensklasse, ehe sie einer Regelklasse zugeordnet werden. Wir stellen Ihnen Lütfi Dede vor, er ist Lehrer einer Vorbereitungsklasse an der Schule an der Burgweide in Hamburg –hier haben etwa 85 Prozent der Schülerinnen und Schüler einen Migrationshintergrund. Derzeit gibt es zwei sog. Basisklassen zur Alphabetisierung und eine Internationale Vorbereitungsklasse (IVK) für neu zugewanderte Kinder. Die Schule an der Burgweide hat 2017 den 2. Platz des Ganztagsschulpreises der Handelskammer Hamburg für ihr Ganztagskonzept gewonnen und ist unter den letzten 20 nominierten für den Deutschen Schulpreis 2018. Sie nimmt am Schulversuch „Sechsjährige Grundschule – Schulen gestalten Zukunft“ teil.

Lütfi Dede, Foto: SVR/Phil Dera

Lütfi Dede erlebt täglich die Herausforderungen, die eine multikulturelle und heterogene, z. T. traumatisierte Schülerschaft für den Unterricht bedeutet – und er kann täglich sehen, welche Potenziale diese Kinder mitbringen und welche Chancen ein passendes Konzept für die Beschulung von Flüchtlingen bietet. Dede ist 1979 im Alter von neun Jahren selbst aus der Türkei nach Herne/NRW zugewandert. Da er kein Deutsch sprach, besuchte er zunächst eine Vorbereitungsklasse und wechselte nach einem Jahr in eine reguläre Klasse. Er kennt die Situation von zugewanderten Kindern daher aus eigener Erfahrung. Im Jahr 1984 kehrte er zurück in die Türkei, wo er sein Abitur machte, Deutsch als Zweitsprache (DaZ) studierte, fünf Jahre in der Grundschule und sechs Jahre am Gymnasium DaZ/DaF (Deutsch als Fremdsprache) unterrichtete sowie als Stellvertretender Schulleiter arbeitete. Er wurde zweimal vom türkischen Erziehungsministerium nach Deutschland entsandt: Von 1999-2004 gab er muttersprachlichen Ergänzungsunterricht als Türkischlehrer für Grundschule, Sekundarstufe I und II an einer Schule in Bad Tölz, von 2010 bis 2015 hat er in einer bilingualen Deutsch-Türkisch-Klasse in Hamburg Türkisch und Gesellschaftskunde unterrichtet.

An der Schule an der Burgweide ist Lütfi Dede seit 2015 Klassenlehrer der Internationalen Vorbereitungsklasse (IVK). In dieser lernen maximal 18 Schüler, die derzeit hauptsächlich aus Kriegsgebieten wie Syrien, aber auch aus Ägypten, Rumänien und Bulgarien kommen. Der Unterricht orientiert sich am Hamburger Bildungsplan – Deutsch als Zweitsprache in Vorbereitungsklassen. Dieser sieht etwa spezielles Unterrichtsmaterial für diese Zielgruppe vor. Die Schule an der Burgweide geht in ihrer täglichen Arbeit weit über den in Hamburg üblichen Standard hinaus: Hier ist eine zeitweise Doppelbesetzung mit zwei Lehrern in allen Klassen Standard (d.h. auch in Regelklassen), und auch Lütfi Dede unterrichtet seine IVK gemeinsam mit einer Kollegin. „Das ist nach meiner Erfahrung ein ganz wesentlicher Faktor für einen gelingenden Unterricht mit dieser besonders sensiblen Gruppe“, so Dede. Auch dass es für alle Klassen Smartboards gibt, ist gerade für die Basis- und Vorbereitungsklassen wichtig: „Eine Sprache lernt man eben besser, wenn man über das Smartboard die richtige Aussprache vorspielen und auch mit Filmmaterial arbeiten kann“. Dass die Schule Mittel für eine Doppelbesetzung erhält, liegt auch daran, dass sie einen Sozialindex der Kategorie 1 hat, d. h. an ihr lernen besonders viele Kinder aus sozial benachteiligten Familien.

Ganz wichtig für die soziale Integration der jugendlichen Flüchtlinge in den Basis- und Vorbereitungsklassen ist regelmäßiger Kontakt zu den Kindern und Jugendlichen aus den Regelklassen, und das von Beginn an: Alle Schülerinnen und Schüler haben mittwoch- und donnerstagnachmittags gemeinsame Kurse. Die IVK und Basisklassen machen gemeinsame Ausflüge und Klassenreisen. Dede betont, dass es oft einfache Ideen sind, die die Gemeinsamkeit fördern und den Schülern zeigen, was sie schon alles können: „Wir haben zum Beispiel den Kinderkiosk ins Leben gerufen. Da bereiten alle Mädchen und Jungen unserer Schule Brötchen für die Pause vor. Das macht sie sehr stolz. Und die zugewanderten Kinder machen oft sehr leckere Sachen nach Rezepten aus ihrer Heimat.“ Kinder der Vorbereitungsklassen werden also vom ersten Tag an ins Schulleben integriert. „Das ist die Stärke unseres Schulkonzepts – nicht Abschottung, sondern konsequentes Miteinander von Anfang an. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Kinder und Jugendlichen in meiner Vorbereitungsklasse alle gerne in die Schule kommen und sehr willig lernen. Sie versäumen kaum Unterricht, sind motiviert und können nach einem Jahr in die Regelklassen wechseln – manchen gelingt das sogar schon früher“. Auch zu den Eltern hat Lütfi Dede engen Kontakt: „Sie können mich jederzeit direkt anrufen. Dass sie zu mir Vertrauen haben, merke ich, weil sie sich melden, wenn sie Sorgen haben. Und das ist wichtig bei Schulkindern, die die Folgen der Flucht bewältigen müssen.“ Zu den besonderen Belastungen, denen Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung ausgesetzt sind, gehört nach Dedes Erfahrung auch das Leben in Gemeinschaftsunterkünften: „Dort ist es laut, sie können selten in Ruhe und meist erst spät schlafen, sie haben keinen Raum, um ungestört ihre Hausaufgaben zu machen. Viele wohnen noch dazu sehr weit von der Schule weg und haben einen langen Schulweg. Ich halte es daher für sehr wichtig, dass diese Kinder möglichst einer wohnortnahen Schule zugeteilt werden und nicht zu lange in Gemeinschaftsunterkünften leben müssen“. Eine weitere Bedingung für eine erfolgreiche Beschulung von jungen Flüchtlingen ist für Dede die psychologische Betreuung. Dafür sind Lehrkräfte in der Regel nicht ausgebildet. „Wir brauchen an den Schulen viel mehr Sozialpädagogen. Unserer Klasse steht ein ausgebildeter Sonderpädagoge zur Verfügung. Er leitet den Kinderkiosk, ist donnerstags zwei Stunden in der Klasse und ist für den Schwerpunkt geistige Entwicklung zuständig.“ Auch eine enge Kooperation der Lehrkräfte ist laut Dede förderlich: In einer wöchentlichen Teamsitzung tauschen sich die Kolleginnen und Kollegen aus Regelklassen und IVK über die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler, gemeinsame Aktivitäten und die Übergänge in die Regelklassen aus.

Die Schule an der Burgweide zeigt: Mit einem passgenauen, zielgruppenorientierten Konzept, mit einer Ausstattung, die den Herausforderungen von Segregation etwas gerechter wird und nicht zuletzt mit Lehrkräften wie Lütfi Dede kann Schule und kann Integration auch an segregierten Schulen gelingen.

Weitere Informationen zur Beschulung von jugendlichen Flüchtlingen finden Sie in der Studie „Schule als Sackgasse? Jugendliche Flüchtlinge an segregierten Schulen“.