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Ein Mensch – ein Thema

Auf festem Fundament: die deutsch-polnischen Beziehungen

Warschau, April 2017. Deutschland und Polen verbindet bei allen Unterschieden viel. Nach einer wechselvollen Geschichte stehen die deutsch-polnischen Beziehungen heute auf einem festen Fundament. Wirtschaftlich und kulturell sind beide Länder eng verflochten: Deutschland ist seit über zwei Jahrzehnten der wichtigste Handelspartner Polens und nirgendwo im Ausland lernen so viele Menschen die deutsche Sprache wie in Polen, etwa 2,3 Millionen Menschen lernen dort Deutsch, davon rund 2,1 Millionen Kinder. Vor allem nach der Wende entstanden vielerorts enge grenzüberschreitende Beziehungen, hunderte Städtepartnerschaften, Schul- und Hochschulkooperationen sowie Kooperationen zwischen Bundesländern und Woiwodschaften. Mittler wie das Goethe-Institut, der DAAD und das Deutsch-Polnische Jugendwerk tragen zu einem intensiven Kultur-und Bildungsaustausch bei.

Beim Thema Zuwanderung nehmen Polen und Deutschland in der Debatte gegensätzliche Positionen ein, wobei die aktuellen Herausforderungen, denen die beiden Länder gegenüberstehen, unterschiedlicher Natur sind: Während nach Deutschland seit 2015 vor allem eine große Zahl Schutzsuchender gekommen ist, sieht sich Polen hauptsächlich einer steigenden Arbeitsmigration aus der Ukraine gegenüber.

Zugleich gibt es viele Menschen, die sowohl Polen als auch Deutschland mittlerweile ihre Heimat nennen: Polen sind – nach Syrern und Rumänen – derzeit die drittgrößte Herkunftsgruppe aller Zuwanderer nach Deutschland. Im Jahr 2015 sind ca. 196.000 Personen aus Polen zugezogen, das waren rund 9 Prozent aller Zuwanderer. Demgegenüber zogen 2015 rund 5.400 Deutsche nach Polen, das sind rund 4 Prozent aller Fortzüge. Dass in Deutschland lebende Polen sich hierzulande gut aufgenommen fühlen, belegt das SVR-Integrationsbarometer 2016: Rund 94 Prozent der Polenstämmigen fühlen sich demnach zu Deutschland zugehörig. Gleichzeitig fühlen sich 52 Prozent auch ihrem Herkunftsland zugehörig. Allerdings berichten auch rund 22 Prozent von erlebter Diskriminierung aufgrund der eigenen Herkunft.

Wie erleben Polen, die eine enge Bindung zu Deutschland haben, den Alltag hierzulande? Wir stellen Ihnen Agnieszka Łada vor, die seit Jahren zwischen beiden Ländern lebt und arbeitet und zu den deutsch-polnischen Beziehungen forscht.

Foto Agnieszka Łada | SVR/Michael Setzpfandt
Agnieszka Łada, Foto: SVR/Michael Setzpfandt

Agnieszka Łada ist in Warschau aufgewachsen und hatte bereits während ihrer Schulzeit ersten Kontakt mit Deutschland, als sie an einem Schüleraustausch teilnahm. Er führte sie nach Hamburg, wo sie in einer deutschen Familie lebte und am Unterricht in der Gastklasse teilnahm. Im Gegenzug verbrachte ihre Austauschschülerin dann einige Zeit bei ihrer Familie in Warschau. Łada ist überzeugt, dass diese frühe Begegnung mit Deutschland ihren späteren Weg geprägt hat. „Solche Austauschprogramme bringen wirklich etwas und mein erster Kontakt war gleich sehr persönlich.” Während ihres Studiums der Politikwissenschaften in Warschau war es daher für sie klar, dass sie die Bindung an Deutschland nicht verlieren wollte. Sie verbrachte im Rahmen des Erasmus-Programms zwei Semester an der Freien Universität Berlin und spezialisierte sich auch beruflich auf die deutsch-polnischen Beziehungen. Weil Deutschlandexperten viele Regionen des Landes aus eigener Erfahrung kennen sollten, hat sie die Stadt Dortmund für das Aufbaustudium Organisationspsychologie an der Technischen Universität gewählt. Gleichzeitig hat sie ihre Doktorarbeit über die deutsche Patriotismus-Debatte verfasst. 2015 absolvierte Łada an der Hertie School of Governance ein Executive Master for Public Administration-Programm, um die Verbindungen zwischen Politik, Verwaltung, Wirtschaft und dem dritten Sektor in Deutschland noch besser zu verstehen.

Heute leitet Agnieszka Łada das Europa-Programm eines Warschauer Think Tanks und arbeitet von Zeit zu Zeit als Fellow an deutschen Forschungsinstitutionen – in der Regel in Projekten, die die deutsch-polnischen Beziehungen zum Thema haben. 2013 verbrachte sie zwei Monate bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), 2016/17 forschte sie für zwei Monate bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin zur deutsch-polnischen Wirtschaftskooperation. Eines ihrer wichtigsten Projekte beim Institut für Öffentliche Angelegenheiten in Warschau ist das Deutsch-Polnische Barometer, das untersucht, wie Deutsche und Polen sich gegenseitig wahrnehmen. „Die Ergebnisse zeigen – und das kenne ich aus eigener Erfahrung – dass die Deutschen sehr wenig über Polen wissen. Das macht mir schon Sorgen. Was mich hingegen freut: Die polnische Gesellschaft ist gegenüber Deutschen sehr offen. Die deutsch-polnische Versöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg war also wirklich erfolgreich.”

Wo liegen nach ihrer jahrelangen Erfahrung des Lebens zwischen zwei Ländern die Unterschiede zwischen beiden Gesellschaften? „Eigentlich überwiegen die Ähnlichkeiten. In Polen herrscht jedoch eine andere Einstellung zu Familie und Privatleben, man kann sich auf die Familie immer verlassen, hat allerdings auch mehr Pflichten innerhalb der Familie.” ‘Die Deutschen’ findet Łada manchmal etwas schwer zugänglich. Dass man lange zögert, ehe man jemanden nach Hause einlädt, und sich Kollegen trotz intensiver Zusammenarbeit häufig nicht duzen, findet sie gewöhnungsbedürftig. Auch mit der deutschen Bürokratie ringt sie immer mal wieder. Sie schätzt andererseits sehr, dass man sich auf Deutsche immer verlassen kann und Diskussionen auch bei Meinungsverschiedenheiten sehr sachlich bleiben.

Klare Unterschiede sieht sie, wenn es um die Einstellung zum Thema Migration und Integration in beiden Ländern geht. „Die Deutschen konnten sich über die Jahre mit Migrationsprozessen vertraut machen. Die Polen sind da noch am Anfang – Ausländer sind in Polen immer noch eine Ausnahme, obwohl sich das mit Tausenden Ukrainern, die jetzt nach Polen kommen und dort arbeiten, langsam ändern wird.“

Beruflich wie privat sieht Agnieszka Łada sich selbst vor allem als Vermittlerin im deutsch-polnischen Dialog. „Ich habe Spaß daran, die gegenseitigen Positionen zu vermitteln und der jeweils anderen Seite zu erklären. Ich möchte einfach einen Beitrag dazu leisten, dass diese beiden Gesellschaften sich besser verstehen.”

Eine Zukunft in Deutschland kann Agnieszka Łada sich durchaus vorstellen. „Wenn ich aus Warschau aus privaten oder beruflichen Gründen weggehe, dann nur nach Deutschland!”