Flucht: Eigeninitiative und Unterstützung als Grundsteine für einen Neubeginn
Berlin, April 2016. 2015 sind rund 890.000 Flüchtlinge nach Deutschland gekommen – rund 70% sind im erwerbsfähigen Alter, rund zwei Drittel von ihnen sind unter 30 Jahre alt. 2015 wurde etwa die Hälfte aller Asylanträge bewilligt. Die Integration einer so großen Zuwanderergruppe ist seit Monaten Thema hitziger öffentlicher Debatten. Wie kann sie gelingen? Dem Staat und seinen Institutionen sowie der Wirtschaft kommen sicherlich Schlüsselrollen bei der Arbeitsmarktintegration der Flüchtlinge zu. Der Staat setzt hier auf das Konzept der frühen Integration für bestimmte Gruppen, wie etwa an der Öffnung der Integrationskurse für Asylsuchende mit guter Bleibeperspektive und dem seit 2014 schrittweise erfolgten Abbau der Hürden zum Arbeitsmarkt deutlich wird – zuletzt mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom Oktober 2015. Weitere Reformen wie die Sicherheit des Aufenthalts während der Ausbildung und zwei Jahre danach (die sog. „3-plus-2-Regelung“) wurden im Juli 2016 mit dem Integrationsgesetz verabschiedet.
Es braucht aber auch das ergänzende Engagement vor allem der Zivilgesellschaft, um Neuankömmlingen den Weg zu chancengleicher Teilhabe in Deutschland zu bahnen und Asylsuchenden mit Bleibeperspektive eine langfristige gesellschaftliche Integration zu ermöglichen. Seit Beginn der Flüchtlingskrise erlebt Deutschland eine beispiellose Hilfsbereitschaft der hier lebenden Bevölkerung. Auch Non-Profit-Organisationen haben zahlreiche Angebote für Flüchtlinge ins Leben gerufen. Nicht zuletzt kommt es aber immer auch auf die Eigeninitiative jedes einzelnen Flüchtlings an, hier schnell Fuß zu fassen und aus dem Leben in Deutschland das Beste zu machen.
Wir stellen Ihnen Sarah Namutebi vor, die im Herbst 2015 aus Uganda nach Deutschland geflohen ist und sich beharrlich und mit tatkräftiger zivilgesellschaftlicher Unterstützung und der Hilfe einer Familie ein neues Leben in Deutschland aufgebaut hat.
Sarah Namutebi ist 23 Jahre alt. Sie ist in Uganda aufgewachsen und hatte in Kampala an der Nkumba University ein Journalismus-Studium begonnen. Im Herbst 2015 musste sie nach einem Massaker, bei dem ihre Eltern und ihr Bruder von Milizen getötet wurden, fliehen. Nach mehrmonatiger Flucht über das Mittelmeer, Griechenland und die Balkanländer kam Sarah im November 2015 in München an. Dort stellte sie einen Antrag auf Asyl und lebte zunächst in einer Asylunterkunft. Zufällig traf sie im Zug Noga Bruckstein, eine junge Geigerin aus Berlin, mit der sie sich anfreundete. „Dass ich sie und ihre Familie kennengelernt habe, war ein großes Glück. Sie haben mich in ihre Familie aufgenommen.“
In Berlin lebt Sarah Namutebi nun seit Januar 2016 in einer bunt gemischten deutsch-türkisch-jüdischen Familie mit fünf erwachsenen Kindern, deren Mitglieder aus drei Ländern kommen und für die „Migrationserfahrung“ der Normalfall ist. Dass Sie von München nach Berlin umziehen durfte, obwohl Ihr Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist, hat sie einem Stipendium zu verdanken: Über Familie Bruckstein und „DeutschPlus – Initiative für eine plurale Republik“ – hörte Sarah Namutebi vom Stipendium „Geh Deinen Weg“ der Deutschlandstiftung Integration, das sich seit kurzem auch an junge Menschen mit Fluchtgeschichten richtet. Die Deutschlandstiftung hat für 2016 erstmals 13 Flüchtlingsstipendien ausgeschrieben und möchte damit zeigen, was alles möglich ist, wenn junge Menschen gleich nach ihrer Ankunft in Deutschland eine bestmögliche Förderung erfahren, ohne Zeitverlust und unter optimalen Bedingungen des Spracherwerbs. Nach einer schriftlichen Bewerbung und einem Interview wurde Sarah Namutebi im Dezember 2015 die erste „Geh Deinen Weg“-Stipendiatin in Deutschland. Das zweijährige Stipendium unterstützt Sarah beim Spracherwerb, vernetzt sie mit anderen akademischen Stipendiaten, ermöglicht die Teilnahme an Workshops und Seminaren und stellt ihr zwei Mentorinnen an die Seite, die ihr helfen, sich langfristig ein berufliches Netzwerk in Deutschland aufzubauen. Für Sarah sind vor allem die Kontakte zu Stipendiaten und Mentorinnen wichtig, die ihr in ihrer neuen Heimat Orientierung bieten: „Diese ehrenamtliche Unterstützung macht es mir leicht, meinen Weg in Deutschland zu finden. Und in ein paar Jahren kann ich etwas zurückgeben, wenn ich selbst Mentorin für einen neuen Stipendiaten sein werde, den ich unterstütze.“
Sarah Namutebi wollte seit Ihrer Ankunft in Deutschland so schnell wie möglich sehr gut Deutsch lernen, um ihren durch die Flucht abgebrochenen beruflichen Weg wieder auf zu nehmen und sich rasch in Deutschland zurecht zu finden. Sie hat derzeit noch keinen Zugang zu einem staatlichen Integrationskurs, da ihr Asylverfahren noch läuft. Auch hier wirkten wieder glückliche Umstände und das Engagement von Sarah und ihrer neuen Familie zusammen und es gelang ihr, einen Platz in einer großen Berliner Sprachschule zu bekommen, die Deutschkurse für Berufssuchende aus aller Welt auf hohem Niveau anbietet, um ihnen einen möglichst schnellen Berufseinstieg auf dem deutschen Arbeitsmarkt oder an deutschen Universitäten zu ermöglichen. Die Leitung der Schule hat sich nach dem Gespräch mit Sarah Namutebi sogar bereit erklärt, ihr ein Teilstipendium zu gewähren: „Wir waren von der spontanen Großzügigkeit der Schule überwältigt“, sagt Sarah. Durch das Teilstipendium der Schule und das Stipendium der Deutschlandstiftung Integration kann Sarah Namutebi nun einen intensiven Deutschkurs mit 30 Wochenstunden besuchen. Der Erfolg gibt diesem intensiven Einsatz recht: Sarah kann sich mittlerweile gut auf Deutsch verständigen.
Von ihrem eigentlichen Berufswunsch – Journalistin – ist Sarah Namutebi allerdings erst einmal abgerückt, dies erscheint ihr in deutscher Sprache in nächster Zeit doch zu schwierig. Dafür hat sie sich umorientiert. Sie geht gern mit Menschen um und hat ein gutes Gespür für die Bedürfnisse anderer. Gute Voraussetzungen für eine Ausbildung als Seniorenpflegerin. Im April 2016 stellte Sarah sich in einem persönlichen Gespräch der Leiterin eines renommierten Berufsbildungswerks in Berlin vor und überzeugte: Sie verließ das Interview – das sie in Teilen schon auf Deutsch führen konnte – mit einer mündlichen Zusage für einen dreijährigen Ausbildungsplatz zur Seniorenpflegerin ab Oktober 2016. Nur ihr Abiturzeugnis muss sie sich jetzt noch anerkennen lassen. Sarah und ihre neue Familie sind sehr glücklich über diese Zusage. „Ich bin froh, dass mein Leben jetzt wieder normal verläuft und bete, dass es so bleibt“. Sarah hat in Deutschland eine Familie gefunden, sie hat in kurzer Zeit enge freundschaftliche Kontakte knüpfen können. „Nach der Entwurzelung, die ich durch die Flucht erleben musste, stehe ich endlich wieder auf eigenen Füßen. Ich stehe mitten im Leben und fühle, dass ich wieder Freiheiten habe. Freiheit heißt für mich: keine Angst zu haben. Dafür will ich Deutschland und meinen Freunden und meiner Familie hier auch etwas zurückgeben.“