Parteipolitisches Engagement von Zuwanderern: Übereinstimmende Werte ausschlaggebend
Berlin, November 2016. In Deutschland leben rund 17 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Wie bringen sie sich in das politische Leben ein und wie verschaffen sie sich Gehör? Bei der letzten Bundestagswahl waren 5,8 Millionen Zugewanderte wahlberechtigt (Tendenz steigend) und können somit bei Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen ihre Stimme abgeben. Weitere 5 Millionen Menschen in Deutschland erfüllen die Voraussetzungen für eine Einbürgerung und wären dann ebenfalls wahlberechtigt.
Allerdings ist der Gang zur Wahlurne nur eine von vielen Möglichkeiten, sich politisch zu beteiligen. An Unterschriftensammlungen teilzunehmen, einen Politiker direkt zu kontaktieren, zu demonstrieren oder sich in politischen Initiativen und Parteien zu engagieren, steht auch Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft offen. Besonders das Engagement in Parteien spielt in Deutschland traditionell eine zentrale Rolle im politischen Geschehen. Wie viele Menschen mit Einwanderungsgeschichte sich genau in politischen Parteien engagieren ist nicht bekannt, da Parteien dazu keine Daten erfassen. Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass sie deutlich unterrepräsentiert sind. Für Parteien stellen Zuwanderer somit ein Potenzial an Wählern, Mitgliedern und Mandatsträgern dar, das bisher weitgehend ungenutzt bleibt.
Wir stellen Ihnen Elisabeth Heid und Faruk Tuncer vor, die sich in Berlin politisch engagieren – Heid für die SPD, Tuncer für die CDU.
Elisabeth Heid ist Tochter einer Britin und eines Deutschen und hat schon als Kind in verschiedenen Ländern und Kulturen gelebt: Sie wurde in den USA geboren, ist in München, Singapur und Chicago zur Schule gegangen und hat die deutsche, die amerikanische und die britische Staatsangehörigkeit.
Ihre politische Prägung begann früh: Schon in ihrem Elternhaus wurde viel über politische und interkulturelle Fragen diskutiert, bereits während ihrer Schulzeit in Chicago engagierte sie sich gegen Polizeigewalt auf ihrem High-School-Campus, die sich mehrheitlich gegen schwarze Schüler richtete. 2001 kehrte sie für ein Studium der Politikwissenschaften an der Universität Freiburg nach Deutschland zurück. „Als ich nach Deutschland zurückkam, hatte ich erst einmal einen Kulturschock. Ich fühlte mich wie jemand, der nicht so richtig dazugehört und fand den pauschalen Anti-Amerikanismus schwierig. Ich war zwischen meiner amerikanischen und meiner deutschen Identität hin- und hergerissen.“
Elisabeth Heid hat dann hier Bildungsgerechtigkeit in den Fokus ihrer beruflichen und ehrenamtlichen Arbeit gerückt. Nach dem Studium gründete sie gemeinsam mit Freunden Teach First Deutschland – eine NGO, die sich für bessere Bildungschancen von benachteiligten Kindern und Jugendlichen einsetzt. Später leitete sie in Berlin das Projekt School Turnaround, das Schulen in schwieriger Lage bei Veränderungsprozessen unterstützt. Sie sagt: „Um Bildungschancen zu verbessern, sind NGOs ein wichtiger Weg, aber eben nicht der einzige – die Rahmenbedingungen gibt die Politik vor, dort möchte ich mitgestalten.“ Direkt politisch aktiv wurde sie im Zuge der Debatte um Deutschland als Einwanderungsland. „Ich wollte mich in die Politik einbringen, weil es immer mehr Menschen in Deutschland gibt, die so sind wie ich: Deutsche, die aber eben nicht nur Deutsche sind. Die Zukunft Deutschlands ist globaler, als Kritiker der Einwanderungsgesellschaft es glauben lassen möchten.“ Im Jahr 2009 trat sie in die SPD ein. Ausschlaggebend war für sie, dass in einer großen Volkspartei Menschen aus allen Schichten und verschiedener Herkunft zusammenkommen und dass der solidarische Gedanke für die SPD zentral ist. Die Mitarbeit in der Partei wurde ihr leicht gemacht. Derzeit ist sie bei der SPD Berlin-Rixdorf Schriftführerin, ist Kreisdelegierte in Neukölln und bei der SPD Neukölln in der AG Migration und Vielfalt aktiv. Ihre politische Überzeugung bringt sie in dieser AG ein: „Oft werden Menschen nach ihrem Migrationshintergrund beurteilt – ist er westlich, wird er als Bereicherung wahrgenommen. Ein Migrationshintergrund aus arabischen Ländern wird dagegen oft als negativ angesehen. Dabei gibt es keinen guten oder schlechten Migrationshintergrund. Vielfalt ist immer etwas Positives.“
Faruk Tuncer wurde als Sohn türkeistämmiger Eltern in Berlin geboren. Beide Eltern waren als ‚Gastarbeiterkinder‘ im Rahmen des Familiennachzugs Ende der 60er Jahre nach Deutschland zugewandert. Tuncers politisches Interesse erwachte während der Schulzeit an einer Berliner Schule, in der die meisten Schüler aus Zuwandererfamilien stammten. Dort erlebte er, wie wichtig gerechte Bildungschancen für alle Kinder sind.
Seines eigenen Migrationshintergrunds wurde sich Faruk Tuncer aber erst so richtig bewusst, als er begann, Erziehungswissenschaften an der FU Berlin zu studieren – mit seiner Biographie war er an der Universität plötzlich die Ausnahme. Als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes, eines überkonfessionellen und überparteilichen Begabtenförderungswerks, profitierte er selbst von nachhaltiger Bildungsförderung. Sie hat sein gesellschaftliches Engagement und seinen Wunsch, mitzugestalten, geprägt: „Verantwortung zu übernehmen, die Dinge selbst voranzubringen, war mir immer wichtig. Mich für Bildungsgerechtigkeit einzusetzen und später direkt für eine Partei zu engagieren, war da nur ein konsequenter Schritt – denn wenn man direkt mitentscheiden will, muss man einfach Teil des politischen Systems sein.“
Nach der Bundestagswahl 2013 ist Tuncer dann der CDU beigetreten. Mit ihrem Programm und ihrer Werteorientierung konnte er sich identifizieren, sagt er. Zwar hat er häufig zu hören bekommen, dass Menschen mit Migrationshintergrund besser im linken Parteispektrum aufgehoben seien. „Von dieser Fremdprägung wollte ich mich freimachen. Mich haben die Werte, für die die CDU steht, überzeugt – einerseits leistungsorientiert zu sein, andererseits die Schwächeren im Blick zu haben. Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit, das christliche Menschenbild – es sind genau diese Werte, die mich auch als gläubigen Muslim besonders ansprechen.“
Sein politisches Interesse veranlasste Tuncer nach einigen Jahren Berufstätigkeit für eine gemeinnützige Organisation, noch einen Master in Public Policy an der Hertie School of Governance in Berlin zu machen. Im Ortsverband CDU Berlin-Moabit wurde er 2015 in den Vorstand gewählt und kümmert sich dort neben dem politischen Alltag vor allem um den Social Media Auftritt. Während des Wahlkampfes zur Abgeordnetenhaus-Wahl 2016 war er über Wochen fast täglich in die Wahlkampfplanung und Umsetzung eingebunden, dafür analysierte er Daten, erarbeitete Strategien, verfasste Texte und klebte Plakate. Seine politische Arbeit geht inzwischen längst über das Ehrenamt hinaus: Seit dem Sommer 2016 ist er im bundespolitischen Umfeld tätig.
Die Beispiele zeigen: Menschen mit Zuwanderungsgeschichte für eine Mitwirkung in Parteien zu gewinnen, stellt einen wichtigen Beitrag zur Ausgestaltung der Demokratie im Einwanderungsland dar.
Detaillierte Informationen zu den Parteipräferenzen von Zuwanderern und Zuwanderinnen finden Sie in der Publikation „Schwarz, rot, grün – welche Parteien bevorzugen Zuwanderer?“ (2016) und in der Kurzinformation „Parteipräferenzen von Zuwanderinnen und Zuwanderern: Abschied von alten Mustern“ (2018).