Veranstaltungen – Wissenschaftlicher Stab

Angekommen – und nun? Flüchtlinge über ihre Lebenslagen in Deutschland

Fachkonferenz zur Vorstellung der Studie “Wie gelingt Integration? Asylsuchende über ihre Lebenslagen und Teilhabeperspektiven in Deutschland“ am 23. November 2017 in Berlin

Kaum ein anderes Thema stand in den letzten beiden Jahren so im Zentrum der öffentlichen Debatten wie die deutsche Flüchtlingspolitik. Aber was bewegt die Flüchtlinge eigentlich selbst? Welche Erfahrungen haben sie in Deutschland gemacht, vor welchen Herausforderungen stehen sie? Wie gelingt ihnen der Einstieg in Arbeit? Und fühlen Sie sich an ihrem Wohnort akzeptiert? Welche persönlichen Kontakte haben Sie bereits geknüpft? Wie nehmen sie ehrenamtliche Unterstützung wahr?

Diese und viele weitere Fragen hat der SVR-Forschungsbereich Flüchtlingen im Rahmen von 62 qualitativen Interviews in mehreren Bundesländern gestellt, um herauszufinden, welche Bedarfe und Erwartungen sie haben und wie sie ihre aktuellen Lebenslagen wahrnehmen. Ziel des Forschungsprojektes, das der SVR-Forschungsbereich in Kooperation mit der Robert Bosch Stiftung seit Februar 2016 durchgeführt hat, war eine wissenschaftlich fundierte Beschreibung der aktuellen Lebenslagen von Flüchtlingen in Deutschland aus der Perspektive der nach Deutschland geflüchteten Menschen. Der Fokus der Studie lag auf Personen mit noch unsicherem Aufenthaltsstatus (Asylsuchende und Geduldete) in einem frühen Stadium ihres Aufenthalts hierzulande. Aus den Erkenntnissen wurden Handlungsempfehlungen entwickelt, die darauf abzielen, das Aufnahme- und Asylsystem zu verbessern und die gesellschaftliche Teilhabe von Flüchtlingen zu stärken.

Die Ergebnisse der Studie „Wie gelingt Integration? Asylsuchende über ihre Lebenslagen und Teilhabeperspektiven in Deutschland“ stellte der SVR-Forschungsbereich gemeinsam mit der Robert Bosch Stiftung bei einer Fachveranstaltung am 23. November 2017 in Berlin vor. Im Anschluss an die Präsentation der Ergebnisse durch den Autor, Dr. David Schiefer, wurden ausgewählte Zitate im Rahmen einer szenischen Lesung auf Deutsch und in der Originalsprache, in der auch die Interviews stattgefunden haben, vorgetragen. Bei einer Podiumsdiskussion mit Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Bereichen wurde schließlich ein wichtiger Teilaspekt der Studie diskutiert: Wie kann soziale Teilhabe von Flüchtlingen gelingen und gemeinsam eine kulturell vielfältige Gesellschaft gestaltet werden? An der Diskussion nahmen teil: Firas Alshater, syrischer Schauspieler, freier Journalist, Autor und YouTuber, Prof. Dr. Petra Bendel, Mitglied des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), Dr. Heiko Geue, Leiter Abteilung 1: „Zentralabteilung Engagementpolitik“ im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Vinzenz Himmighofen, Co-Founder von SINGA Deutschland, Britta Weber, Fachdienstleiterin Fachbereich Familie, Jugend & Soziales – Integrationszentrum Landkreis Goslar. Die Veranstaltung wurde moderiert von Gerhard Schröder (Deutschlandradio).

Firas Alshater, der 2013 aus Syrien nach Deutschland kam, betonte, dass Integration Zeit brauche, „man sollte mehr Geduld mit den Flüchtlingen haben“. Erst wenn der Aufenthaltsstatus gesichert sei, man den Rückzugsraum einer eigenen Wohnung habe und die Sprache lernen könne, sei Raum für alles andere. Viele Projekte setzten seiner Meinung nach daher zu früh an und sprechen nicht die Bedürfnisse der gerade erst in Deutschland angekommenen Menschen an. Programme zur Integration von Flüchtlingen hält er dennoch für wichtig, betonte jedoch die Notwendigkeit, die zu uns kommenden Menschen nach ihren Bedürfnissen zu fragen, anstatt nur für sie zu planen. Prof. Dr. Petra Bendel erklärte, dass Flüchtlinge in der Zeit ihrer Ankunft Empowerment brauchten. Die Studie zeige, dass in der Anfangszeit Unterstützung notwendig sei und nicht als Bevormundung wahrgenommen werde, sondern als Hilfe, um die eigene Autonomie wiederzugewinnen. Dr. Heiko Geue lobte das große Engagement der Zivilgesellschaft bei der Integration der Flüchtlinge. Das von ihm geleitete Bundesprogramm „Menschen stärken Menschen“  unterstütze daher bestehende Initiativen finanziell. Der Staat, so Geue, könne hier viel von der Zivilgesellschaft lernen. Auch Vinzenz Himmighofen bestätigte, dass es nicht an Menschen mangele, die sich engagieren möchten. Die Herausforderung sei es jedoch, diese Unterstützung gut zu begleiten und auch die Ehrenamtlichen gut zu unterstützen. Ein zentraler Punkt der Studie wie auch der Podiumsdiskussion war die ungleiche Behandlung der Flüchtlinge je nach Bleibeperspektive. Hier zeigt die Studie, dass diese Ungleichbehandlung von den Befragten als sehr ungerecht wahrgenommen wird und sich negativ auf deren Integrationsprozess auswirkt. Die Kommunen, die mit den Menschen arbeiten müssen, so Petra Bendel, gingen in der Regel pragmatisch mit diesem Problem um und unterschieden bei ihren Angeboten zu Sprachkursen und Wohnungen nicht immer nach Bleibeperspektive. Dies bestätigte auch Britta Weber vom Landkreis Goslar. Der Landkreis gehe auch an anderer Stelle pragmatisch und flexibel mit den bestehenden Herausforderungen um, z.B. bei der Gestaltung eigener Kurse zur Integration der Geflüchteten, die weit über das hinausgingen, was die Kurse des BAMF anbieten könnten. Heiko Geue bedauerte, dass diese Haltung nicht auch auf der bundespolitischen Ebene vorherrsche, sondern hier die Angst dominiere, Pulleffekte zu erzeugen. In der Frage, welche positiven Effekte die hohe Flüchtlingszuwanderung mit sich gebracht habe, waren sich die Podiumsteilnehmer weitgehend einig, dass die Flexibilisierung, die an vielen Stellen zwangsläufig eingeführt werden musste, allen zugutekomme. Petra Bendel begrüßte weiterhin die Auseinandersetzung darüber „wer wir eigentlich sein wollen – eine polarisierte oder eine integrierte Gesellschaft.“

Programm

Fotos: Robert Bosch Stiftung/SVR/David Ausserhofer