Veranstaltungen – Wissenschaftlicher Stab
Heraus aus dem Labyrinth! Wie kann die Integration von neuzugewanderten Jugendlichen und jungen Erwachsenen in das Berufsbildungssystem gelingen?
Digitale Fachkonferenz am 05.11.2020
Für die mehr als fünf Millionen jungen Neuzugewanderten im Alter von 16 bis 25 Jahren, die in den vergangenen fünf Jahren in die EU zugewandert bzw. innerhalb der Union umgezogen sind, stellt der Zugang zu Bildung eine entscheidende Weiche für den weiteren Lebensweg dar. Insbesondere die Berufsausbildung kann für die Zielgruppe zum Motor für Integration werden. Doch nicht selten gleicht der Weg in die Ausbildung einem Labyrinth aus komplexen Regularien, unterschiedlichen Zuständigkeiten und schwer durchschaubaren Unterstützungsangeboten.
Aus diesem Grund hat der SVR-Forschungsbereich in einer groß angelegten Studie vergleichend untersucht, wie die Zugänge zur Berufsbildung in vier ausgewählten EU-Mitgliedsstaaten – Deutschland, Österreich, Slowenien und Spanien – für diese Zielgruppe gestaltet sind und verbessert werden können. Ein Fokus liegt auf der Situation in den Kommunen vor Ort und dem Handeln der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Behörden, Bildungsstätten und beratenden Organisationen. Diese übernehmen häufig die Rolle von Wegweisern durch das Labyrinth und können dazu beitragen, die Integration in die berufliche Bildung zu erleichtern. Die Studie gibt Empfehlungen, wie sowohl Neuzugewanderte als auch Gatekeeper dabei unterstützt werden können, die Ausbildungsintegration zu erleichtern.
Die Ergebnisse der Studie stellte der SVR-Forschungsbereich am 5. November auf einer digitalen Fachkonferenz vor. An der Veranstaltung nahmen 350 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Schulen, Wohlfahrtsverbänden und Vereinen teil; viele von ihnen arbeiten täglich mit jungen Neuzugewanderten, die sich auf dem Weg zur Ausbildung befinden.Nach einer Begrüßung durch Dr. Jan Schneider, Leiter des SVR-Forschungsbereichs, und Winfried Kneip, Geschäftsführer der Stiftung Mercator, die die Studie gefördert hat, wurde der Kurzfilm „In the wind“ vorgeführt. Dieser stammt von Absolventinnen der Central European University und zeigt die Sicht junger Neuzugewanderter in den untersuchten EU-Mitgliedsstaaten. Anschließend stellten die Autorinnen der Studie, Dr. Mohini Lokhande und Lena Rother, die wichtigsten Ergebnisse vor.
In der darauffolgenden Podiumsdiskussion, moderiert von Jeannette Otto (DIE ZEIT), diskutierten Jan Dannenbring vom Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH), Maren Gag, Mitglied der Steuerungsgruppe der IvAF-Netzwerke des BMAS und bis Mai 2020 Mitarbeiterin der passage gGmbH, Hamburg, Etelka Kobuß, die Migrationsbeauftragte der Stadt Chemnitz, Frank Neises vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) und Christiane Polduwe vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) die Handlungsempfehlungen der Studie.
Die Expertinnen und Experten waren sich weitestgehend einig, dass es eine Vielzahl an Instrumenten und Unterstützungsmöglichkeiten gibt, diese aber meist nicht in einer Hand liegen und damit oft nicht leicht zu durchschauen sind. Hier sei es wichtig, einen Überblick zu schaffen und die einzelnen Maßnahmen besser miteinander zu verzahnen.
Einer der wichtigsten Punkte bei der Integration junger Geflüchteter in den Arbeitsmarkt, so die Podiumsteilnehmenden, sei das Erlernen der deutschen Sprache. Auch hier gebe es bereits zahlreiche gute Angebote, die jedoch besser mit anderen Maßnahmen vernetzt werden müssten. Maren Gag nannte den Einsatz von Sprachcoaches in den Betrieben als eine mögliche Lösung. ZDH-Repräsentant Jan Dannenbring begrüßte Lösungen dieser Art, auch zur Entlastung der Ausbildungsbetriebe. Insbesondere Kleinbetriebe seien auf solche Angebote angewiesen und zeigten sich für diese offen. Etelka Kobuß hob an dieser Stelle auch die wertvolle Arbeit von Integrationslotsen beim Spracherwerb sowie bei der Integration allgemein hervor. Die Arbeit dieser Lotsen müsste jedoch besser bekannt gemacht werden, so die Integrationsbeauftragte der Stadt Chemnitz. Christiane Polduwe, Referatsleiterin im BMAS, merkte zudem an, dass Ausbildung und Sprachkurse besser ineinander greifen müssten, um eine Überforderung der Neuzugewanderten zu vermeiden. Frank Neises vom BIBB führte an, dass der Zutritt in die Ausbildung häufig auch Kontaktarbeit sei – so seien Unternehmen offen, von festgelegten Sprachniveaus abzusehen, wenn sie junge Neuzugewanderte im Rahmen von Praktika oder praktischen Vorbereitungsangeboten (z. B. der Einstiegsqualifizierung) kennenlernten und deren Arbeit überzeuge.
In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum, das sich während der Veranstaltung schriftlich rege mit Fragen und Kommentaren beteiligte, wurde unter anderem die Bedeutung von ehrenamtlichem Engagement bei der Integration von Neuzugewanderten hervorgehoben. Dies bestätigten die Zugewanderten, mit denen im Rahmen der Studie gesprochen wurde, so Lena Rother. Weiterhin wurde die Frage nach einer Flexibilisierung der Ausbildung diskutiert. Hier wiesen die Expertinnen und Experten auf dem Podium auf bereits bestehende Möglichkeiten wie z. B. die Teilzeitausbildung hin. Jan Dannenbring warnte jedoch davor, die Prüfungsvoraussetzungen für Neuzugewanderte aufzuweichen. Man müsse die jungen Menschen befähigen, diese zu bestehen, so Dannenbring. Die Panelteilnehmenden waren sich zudem einig, dass lokale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Behörden, Bildungsstätten und z. B. Beratungsstellen durch multiprofessionelle Netzwerkarbeit und eine gezielte Arbeitsteilung gestärkt und entlastet werden könnten. Die Erfahrungen der IvAF-Netzwerke bestätigten dies, so Maren Gag. Christiane Polduwe ergänzte, dass u. a. Berufsberatende der Bundesagentur für Arbeit zusätzliche Informationen zur Weitervermittlung bereitstellen sollten, sie hierfür aber selbst einen aktuellen Überblick aller Angebote und Maßnahmen benötigen. Die Arbeit von Berufsintegrationszentren (BiZ) soll hierbei helfen. In der deutschen Landschaft von über 300 Programmen am Übergang Schule-Beruf bedürfe es außerdem einer verlässlichen Kontaktperson für die jungen Neuzugewanderten, betonte Frank Neises vom BIBB.
Im Rahmen des Forschungsprojekts wurde bereits im Januar 2020 der Policy Brief „Zugang per Zufallsprinzip? Neuzugewanderte auf dem Weg in die berufliche Bildung“ mit den Ergebnissen der deutschen Länderfallstudie veröffentlicht.