Veranstaltungen – Sachverständigenrat
Klimawandel und Migration: was wir über den Zusammenhang wissen und welche Handlungsoptionen es gibt
Fachkonferenz zur Vorstellung des SVR-Jahresgutachtens 2023 am 9. Mai 2023
Am 9. Mai stellte der SVR das neu erschienene Jahresgutachten mit dem Titel „Klimawandel und Migration: was wir über den Zusammenhang wissen und welche Handlungsoptionen es gibt“ einem breiten Fachpublikum vor. An der Fachkonferenz in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften nahmen mehr als 160 Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Verwaltung, Verbänden und Zivilgesellschaft teil.
In seinem diesjährigen Jahresgutachten beschäftigt sich der SVR mit den Auswirkungen des Klimawandels auf das Migrationsgeschehen. Er analysiert, mit welchen Herausforderungen der Umgang mit klimawandelbedingter Migration auf lokaler, nationaler, regionaler und globaler Ebene verbunden ist. Auf dieser Basis gibt der SVR unter anderem Empfehlungen zu aufenthaltsrechtlichen Anpassungen in Deutschland.
Mahmut Özdemir, Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin des Innern und für Heimat, eröffnete die Fachkonferenz. Er unterstrich, dass klimawandelbedingte Migration schon jetzt in verschiedenen Regionen der Welt Realität ist. Es sei deshalb von zentraler Bedeutung, das Thema Migration bei der Auseinandersetzung mit dem Klimawandel stärker mitzudenken und politische Handlungsoptionen voranzubringen. Hier seien vor allem multilaterale Lösungen von Bedeutung. Deutschland könne dabei als Mitverursacher des Klimawandels seiner Verantwortung nachkommen und mit einer modernen Migrationspolitik zu einem Taktgeber werden.
Prof. Dr. Hans Vorländer, Vorsitzender des SVR, stellte anschließend die zentralen Ergebnisse und Empfehlungen des Gutachtens vor. Er hob hervor, dass Klimamigration keine neue, abgrenzbare Form der Migration ist. Vielmehr beeinflusse der Klimawandel bestehende Migrationsmuster, indem er bereits vorhandene soziale, ökonomische oder politische Problemlagen verschärfe und den Migrationsdruck dadurch erhöhe. Risiken und Möglichkeiten, sich dem Klimawandel anzupassen, seien dabei global höchst ungleich und ungerecht verteilt. Wirtschaftlich benachteiligte Bevölkerungsgruppen und Länder des globalen Südens seien aufgrund ihrer geografischen Lage sowie geringerer finanzieller Ressourcen besonders stark betroffen. Empirischen Erkenntnissen zufolge finde klimawandelbedingte Migration derzeit vor allem innerstaatlich bzw. zwischen Nachbarländern statt und nur selten interkontinental.
Politisch gelte es, Migration einerseits als Anpassungsstrategie zu ermöglichen und zugleich das ‚Recht zu bleiben‘ zu stärken, so Prof. Vorländer. Für einen politisch verantwortungsvollen Umgang mit klimawandelbedingter Migration müsse das gesamte Instrumentarium der Migrationspolitik genutzt werden. Hier sei ein Mosaik aus lokalen, nationalen und regionalen sowie globalen Ansätzen realistischer und besser geeignet als ein einzelnes globales Instrument, das erst neu entwickelt und verhandelt werden müsste. Wie der SVR in seinem Gutachten unterstreicht, seien alle politischen Handlungsebenen gefordert – der nationalen Ebene komme aber eine besondere Bedeutung zu. Deutschland sollte hier mit klimamigrationspolitischen Maßnahmen vorangehen. Vorgeschlagen wird ein Set von drei Instrumenten: ein Klima-Pass für einen dauerhaften Aufenthalt, eine Klima-Card für einen temporär befristeten Aufenthalt und ein Klima-Arbeitsvisum für einen Aufenthalt auf Grundlage eines Arbeitsvertrags – die beiden letzteren auf Basis einer länderspezifischen Kontingentierung.
Prof. Vorländer hob hervor, dass diese Instrumente als migrationspolitische Bausteine einer übergeordneten Gesamtstrategie zur Eindämmung des Klimawandels und seiner Folgen zu verstehen seien. Ein koordiniertes Handeln über politische Ebenen und Ressortgrenzen hinweg sei dabei unabdingbar.
In der nachfolgenden Podiumsdiskussion diskutierte Prof. Vorländer gemeinsam mit Prof. Dr. Sabine Schlacke, Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), Dr. Sylvie Nantcha, Vorsitzende des Bundesnetzwerks The African Network of Germany e. V. (TANG), und Ottilie Bälz, Bereichsleiterin Globale Fragen (Klimawandel und Migration) in der Robert Bosch Stiftung, über die Implementierung geeigneter Handlungsansätze im Umgang mit klimawandelbedingter Migration und die Rolle Deutschlands dabei. Die Moderation übernahm Ferdos Forudastan, Geschäftsführerin der CIVIS Medienstiftung GmbH.
Prof. Schlacke unterstrich, dass die Auseinandersetzung mit Wechselwirkungen zwischen Klimawandel und Migration noch am Anfang stehe, auch wenn in der Wissenschaft das Thema teilweise diskutiert werde. Dies gelte insbesondere für die Ausarbeitung politischer Handlungsoptionen. Vor diesem Hintergrund sei das SVR-Jahresgutachten ein wichtiger Anstoß, um die dringend notwendige Debatte voranzutreiben. Sie zeigte sich erfreut, dass der SVR dabei die vom WBGU bereits 2018 lancierte Idee eines Klima-Passes aufgegriffen und weiterentwickelt hat. Aus Sicht von Dr. Nantcha werden die Themen Klimawandel und Migration nach wie vor zu sehr getrennt voneinander behandelt. Ottilie Bälz ergänzte, dass die öffentliche Diskussion um klimawandelbedinge Migration häufig wenig differenziert und von Alarmismus geprägt sei. Speziell die Perspektive der am stärksten betroffenen Länder und der Betroffenen müsse hier, wie auch in der wissenschaftlichen Debatte, gestärkt werden. Prof. Vorländer unterstrich, dass die Komplexität der Zusammenhänge zwischen Ursachen und Wirkung im Bereich der Klimamigration einer größeren Resonanz des Themas im Wege stehe. Eine differenzierte, sachliche Auseinandersetzung sei jedoch unabdingbar, um effektive Handlungsansätze zu erarbeiten.
Dr. Nantcha führte anschaulich aus, dass klimawandelbedingte Migration in verschiedenen afrikanischen Ländern bereits die Lebenswirklichkeit der Menschen bestimmt. Zwar bestehen bereits einzelne Projekte zur Unterstützung vor Ort. Eine übergeordnete Strategie fehle aber. Voraussetzung hierfür wäre, dass die für den Klimawandel maßgeblich verantwortlichen Staaten ihrer Verantwortung tatsächlich nachkommen. Sie müssten einerseits Migration ermöglichen, andererseits Unterstützung vor Ort gewährleisten, schließlich wollten die Betroffenen in der Regel in ihrer Heimat bleiben und nicht nach Europa. Dazu zähle auch die Bereitstellung adäquater finanzieller Mittel. Dr. Nantcha sieht hier auch die Zivilgesellschaft in der Pflicht. Sie müsse dafür sorgen, dass das Thema öffentlich debattiert werde und präsent bleibe.
Nach Ansicht von Ottilie Bälz müssten zudem Betroffene auf lokaler Ebene befähigt werden, kontextspezifische Lösungen zu entwickeln. Bei der konkreten Umsetzung politischer Maßnahmen in Deutschland käme klimapolitischen Instrumenten im Umgang mit Klimamigration eine zentrale Bedeutung zu. Als Teil einer Gesamtstrategie müssten auch migrationspolitische Ansätze daran angeknüpft werden. Hier sehe sie weniger ein Erkenntnis- als vielmehr ein Umsetzungsproblem. Die angekündigte Klimaaußenpolitik der Bundesregierung biete die Chance, einen kohärenten, ressortübergreifenden Ansatz zu entwickeln. In Bezug auf die Implementierung spezifischer Maßnahmen wie beispielsweise dem vom SVR vorgeschlagenen Klima-Pass gebe es offene Fragen, was die politische Durchsetzbarkeit wie die praktische Umsetzung betrifft.
Aus Sicht von Prof. Schlacke ist der vorgeschlagene Klima-Pass als Ultima Ratio für Menschen, die aufgrund des Klimawandels in ihren Herkunftsländern ihre Lebensgrundlage unwiederbringlich verloren haben, in der Umsetzung weniger schwierig als die Umsetzung abgestufter Lösungen wie der Klima-Card für Menschen, deren Heimat weniger stark vom Klimawandel betroffen ist. Deutschlands Rolle als Pionier im Umgang mit klimawandelbedingter Migration könne darin bestehen, innerhalb eines Bündnisses williger Staaten klimamigrationspolitische Instrumente auf nationalstaatlicher Ebene umzusetzen. Prof. Schlacke zufolge ist eine möglichst sachliche, differenzierte Debatte von Lösungsansätzen im Umgang mit klimawandelbedingter Migration wichtig, um deren politische und gesellschaftliche Akzeptanz zu befördern und letztlich politische Mehrheiten zu schaffen.
Prof. Vorländer hob hervor, die SVR-Vorschläge seien als konkrete Handlungsansätze einer vorausschauenden Politik zu verstehen. Ein vorausschauendes Handeln jetzt sei hilfreicher als verspätete Reaktionen. Auch deshalb lege das SVR-Jahresgutachten vergleichsweise genau und differenziert drei aufenthaltsrechtliche Instrumente dar und formuliere, wie diese konkret ausgestaltet werden könnten, so der Vorsitzende des Sachverständigenrats.
Es schloss sich eine lebhafte Diskussion unter Beteiligung der Expertinnen und Experten aus dem Publikum an. Einige Teilnehmende hoben hervor, wie wichtig eine stärkere Gender-Perspektive beim Umgang mit dem Klimawandel und seinen Folgen sei. Ottilie Bälz verwies hier auf die von der Bundesregierung vorangebrachte feministische Außenpolitik. Diese biete Anknüpfungspunkte, um die Bedürfnisse und Kenntnisse von Frauen in Entscheidungsprozessen auch bei diesem Thema stärker zu berücksichtigen. Die von der Robert Bosch Stiftung unterstützte African Climate Initiative habe zum Beispiel empfohlen, Frauen als Gestalterinnen der kommunalen Communities besonders zu fördern. Diskutiert wurde zudem der Bedarf weiterer Forschung sowie die politische Umsetzbarkeit der im Jahresgutachten vorgeschlagenen Maßnahmen vor dem Hintergrund der aktuell geführten migrationspolitischen Debatte.
Schließlich wurde im Publikum auch die Befürchtung geäußert, dass der Fokus auf klimawandelbedingte Migration speziell in Ländern des globalen Südens dazu führen könnte, dass in Deutschland Maßnahmen zum Klimaschutz als nicht notwendig angesehen würden, da man sich durch klimawandelbedingte Migration nicht betroffen fühle. Prof. Vorländer machte deutlich, dass ein stärkerer Blick auf die betroffenen Länder und Regionen des globalen Südens nicht von der Verantwortung in Deutschland und den europäischen Nachbarländern ablenken sollte. Im Gegenteil stünden sie in der Verantwortung, die Länder, die stärker unter dem Klimawandel und seiner Folgen litten, zu unterstützen. Zudem stünden europäischen Ländern mehr finanzielle und technische Ressourcen für Anpassungsmaßnahmen zur Verfügung. Auch ermögliche die Personenfreizügigkeit in der EU betroffenen Menschen, Migration eher und unkomplizierter als Anpassungsstrategie zu wählen.
Einigkeit bestand darüber, dass die Frage, wie konsequent Klimapolitik in Deutschland und weltweit verfolgt wird, darüber entscheiden wird, ob es gelingt, klimawandelbedingte Migration zu begrenzen.
Präsentation Fachkonferenz Jahresgutachten 2023 – Prof. Dr. Hans Vorländer
(Zum Vergößern Bilder bitte anklicken)
An der Konferenz nahmen über 160 Interessierte aus Politik, Verwaltung, Verbänden und Zivilgesellschaft teil.
Mahmut Özdemir, Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin des Innern und für Heimat, eröffnete die Fachkonferenz.
SVR-Vorsitzender Prof. Dr. Hans Vorländer bei der Vorstellung der Ergebnisse des SVR-Jahresgutachtens.
Auf dem Podium diskutierten (v.l.): Ferdos Forudastan (Moderation), Dr. Sylvie Nantcha (TANG), Prof. Dr. Sabine Schlacke (WBGU), Ottilie Bälz (Robert Bosch Stiftung) und Prof. Dr. Hans Vorländer (SVR).
Prof. Dr. Sabine Schlacke, Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU)
Dr. Sylvie Nantcha, Vorsitzende des Bundesnetzwerks The African Network of Germany e. V. (TANG)
Ottilie Bälz, Bereichsleiterin Globale Fragen (Klimawandel und Migration) in der Robert Bosch Stiftung
Das Podium bei der Diskussion mit dem Publikum.
Fotos: SVR / Sebastian Gabsch