Veranstaltungen – Sachverständigenrat
Flüchtlingspolitische Entwicklungen – Herausforderungen der Aufnahme in Land und Kommunen
Fachgespräch zum SVR-Jahresgutachten 2024 am 8. Oktober 2024 in Düsseldorf
Prof. Dr. Birgit Leyendecker, stellvertretende Vorsitzende des SVR, präsentierte am 8. Oktober in Düsseldorf zentrale Befunde des aktuellen SVR-Jahresgutachtens zum Thema „Kontinuität oder Paradigmenwechsel? Die Integrations- und Migrationspolitik der letzten Jahre“. Auf dem regionalen Fachgespräch, zu dem der SVR eingeladen hatte, diskutierte sie mit Expertinnen und Experten aus Nordrhein-Westfalen, ob und inwiefern die beiden Entwicklungen – die erneute Zunahme der Schutzsuchenden nach dem Abebben der Corona-Pandemie und die Aufnahme von mehr als einer Million Menschen aufgrund des Ukrainekrieges in Deutschland – Kommunen an ihre Belastungsgrenze gebracht haben. In ihrer Präsentation ging sie auf die empirische Entwicklung der Fluchtmigration ein sowie auf Befunde und Empfehlungen aus dem SVR-Jahresgutachten zu Flüchtlingsaufnahme und Unterbringung sowie Teilhabe von Geflüchteten im Bildungssystem.
Dabei wies sie darauf hin, dass eine Ursache für Aufnahmeengpässe grundsätzliche Infrastrukturprobleme seien (wie Wohnraummangel oder Personalmangel im Bildungsbereich). Die seien nicht durch Fluchtmigration verursacht, würden aber durch sie sichtbar und zum Teil verschärft. Hier gehe es grundsätzlich um Rahmenbedingungen, die es ermöglichen, die allgemein bestehenden Bedarfe zu decken. Hinsichtlich der Finanzierung der Flüchtlingsaufnahme empfiehlt der SVR, dass neben einer dauerhaften Regelung auch ein transparenter Umgang der beteiligten Ebenen mit den Mitteln wichtig sei. Bei der Verteilung sollten möglichst viele Aspekte berücksichtigt werden, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass die Betroffenen freiwillig an dem zugewiesenen Ort bleiben. Auch im Bildungssystem sei das Regelsystem zu ertüchtigen, so dass es für alle Kinder unabhängig von ihrer Herkunft zugänglich ist. Einen Beitrag zur Behebung des Personalmangels an Schulen und Kitas könnten aus dem Ausland stammende Fachkräfte leisten. Hierfür sei eine vereinfachte Anerkennung beruflicher Qualifikationen ein Baustein.
Die anschließende vertrauliche Diskussion mit den Teilnehmenden aus Politik, Kommunen, Wirtschaft, Verbänden und Zivilgesellschaft wurde von der SVR-Geschäftsführerin Dr. Cornelia Schu moderiert.
Die Teilnehmenden besprachen ausführlich die aktuell sehr dynamische und zum Teil polarisiert geführte Debatte über Fluchtmigration. Hier gebe es eine neue Tendenz, bisher sicher geglaubte Konsense in Frage zu stellen. Es bestand Einvernehmen, dass mitursächlich hierfür Infrastrukturprobleme sind; so würden Versorgungsengpässe in der vorschulischen Bildung wie auch Wohnraummangel den Eindruck von Bürgerinnen und Bürgern von Konkurrenzen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen erhöhen. Dem könne man damit begegnen, dass die zugrundeliegenden Probleme adressiert würden. Ein Gegeneinanderausspielen von Gruppen hingegen fördere gesellschaftliche Spaltung. Zudem drohe die Gefahr, dass der derzeitige Diskurs nicht nur die hier (lange) lebenden Menschen mit Zuwanderungsgeschichte und ihren Beitrag herabsetze, sondern auch wenig einladend für dringend benötigte Arbeits- und Fachkräfte aus dem Ausland wirke. Hierfür gebe es erste Anzeichen.
Die Wohnsitzauflage, deren Wirkung in der Evaluation (und auch im SVR-Jahresgutachten) kritisch diskutiert wird, wird von einigen Teilnehmenden insofern verteidigt, als sie eine bessere Planung bezogen auf kommunale Infrastruktur auch in der Bildung ermögliche. In diesem Bereich besteht Konsens, dass die Zahl der Personen ohne Schulabschluss mit Zuwanderungsbiografie zu hoch ist, da Bildungserfolg nach wie eine wesentliche Voraussetzung für Teilhabe am Arbeitsmarkt und in anderen Bereichen ist. Gerade den selbst zugewanderten Kindern und Jugendlichen müssten hier bessere Zugangschancen eröffnet werden. Dabei spiele auch die Sozialarbeit an Schulen in multiprofessionellen Teams eine Rolle. Zurückgelassene stellten gesellschaftlich ein Problem dar, das gelte nicht nur für solche mit Fluchthintergrund. In Nordrhein-Westfalen schon vorhandene gute Ansätze zur Qualifizierung von Fachkräften mit ausländischer Qualifikation für den Kita- und Schulbereich können einen wichtigen Beitrag leisten; sie müssten der Zielgruppe aber auch bekannt gemacht werden.
Grundsätzlich waren alle Teilnehmenden sich einig, dass gute gesetzliche Regelungen – etwa auch zu Arbeitsmarktintegration – und Programme allein nicht ausreichen, sondern auch bekannt sein müssen (bei den Personen, die sie in Behörden anwenden, aber auch bei den Zielgruppen). Bei der Zielgruppenansprache könnten migrantische Communities noch mehr als bisher als Wegbereitende eingebunden werden im Sinne eines Empowerments.
Schließlich waren Fragen der behördlichen Organisation Gegenstand des Fachgesprächs, etwa die Frage, welchen Beitrag die Bündelung von Kompetenzen in Behörden zu einer besseren Umsetzung des Integrationsmanagements leisten können.
Das Fachgespräch endete mit dem Konsens, dass angesichts der aktuellen Debattenlage sämtliche Akteure in Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft gefragt sind, sich für ein gutes Zusammenleben in Vielfalt einzusetzen.