Veranstaltungen – Sachverständigenrat
Politische Entwicklungen im Bereich Arbeits- und Fachkräftezuwanderung und Regularisierung (Spurwechsel)
Fachgespräch zum SVR-Jahresgutachten 2024 am 30. Oktober 2024 in Stuttgart
Gemeinsam mit der Robert Bosch Stiftung und der Freudenberg Stiftung lud der SVR am 30. Oktober Expertinnen und Experten aus Baden-Württemberg zu einem regionalen Fachgespräch nach Stuttgart ein. Prof. Panu Poutvaara, Ph.D. Mitglied des SVR, präsentierte hierbei das aktuelle SVR-Jahresgutachten „Kontinuität oder Paradigmenwechsel? Die Integrations- und Migrationspolitik der letzten Jahre“.
In seinem Vortrag stellte Prof. Poutvaara zentrale Befunde und Empfehlungen des Gutachtens vor. Die Erwerbsmigrationspolitik sei von einer starken Dynamik gekennzeichnet gewesen in den letzten fünf Jahren. So wurden zuletzt mit der erneuten Novellierung des Erwerbsmigrationsrechts im Jahr 2023 die Nachweispflicht der Gleichwertigkeit einer im Ausland erworbenen Qualifikation zu deutschen Standards in nicht reglementierten Berufen aufgegeben und die Möglichkeiten für Personen ohne formale Qualifikation ausgeweitet. Auch der Arbeitsmarktzugang von Personen sei verbessert worden, die im Wege der Fluchtmigration nach Deutschland gekommen sind und deren Asylantrag negativ beschieden wurde. So richtet sich das Chancen-Aufenthaltsrecht an bereits in Deutschland lebende, jedoch nur geduldete Ausländerinnen und Ausländer. Sie haben bei Erwerbstätigkeit die Chance, einen regulären Aufenthaltsstatus zu erlangen. Diese Maßnahme bietet nicht nur Potenziale mit Blick auf den zunehmenden Arbeitskräftemangel, sondern auch aus integrationspolitischer Perspektive. Zugleich relativiert sie ordnungspolitische Überlegungen.
Luisa Herrmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Freudenberg Stiftung, kommentierte, dass sich manche Projekte zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten durchaus bewährt haben, dann aber eine Verstetigung nicht immer möglich sei. Auch im Bildungsbereich gebe es aus Sicht der Stiftung noch einiges zu tun: Zwar sei Vielfalt (empirisch) Normalität an Schulen, aber es fehle noch an Ressourcen, allen Kindern und Jugendlichen dann auch entsprechende Chancen zu eröffnen. Das sei auch für die Demokratie in Deutschland perspektivisch von Bedeutung.
Dr. Ferdinand Mirbach, Senior Experte Einwanderungsgesellschaft, Globale Fragen der Robert Bosch Stiftung, kommentierte die Öffnung der Erwerbsmigrationspolitik, die angesichts des demographischen Wandels und der zurückgehenden Zuwanderung im Rahmen der EU-Freizügigkeit folgerichtig sei. Dass mit dem Chancenaufenthalts-Recht ein Spurwechsel ermöglicht worden sei, trage der integrationspolitischen Bedeutung von Arbeitsmarkt-Teilhabe Rechnung. Für beide Gruppen sei dann aber auch die soziale Teilhabe wichtig, dies zeige die Erfahrung aus Projekten der Robert Bosch Stiftung. Dass der SVR versachlichend auch auf Basis empirischer Studien die weiterhin grundsätzliche Offenheit der Bevölkerung für Zuwanderung gezeigt habe, sei angesichts des derzeit medial und politisch überwiegend auf Begrenzung fokussierten Diskurses sehr wichtig.
Die anschließende vertrauliche Diskussion mit den Teilnehmenden aus Politik, Wissenschaft, Kommunen, Wirtschaft, Verbänden und Zivilgesellschaft wurde von der SVR-Geschäftsführerin Dr. Cornelia Schu moderiert.
Gegenstand der Debatte waren unter anderem die bei der Arbeitsmarktintegration von Zugewanderten und Geflüchteten weiterhin bestehenden Herausforderungen. Die gesetzlichen Regelungen seien mittlerweile gut, wenn auch komplex, so der Konsens, nun müsse die Umsetzung Priorität haben. Hier wäre eine weitere Vereinfachung sinnvoll, damit die kapazitär stark herausgeforderte Verwaltung eine Chance habe, die Prozesse behördenseitig zu bewältigen. Hilfreich wäre es auch, wenn die Regelungen nicht weiter ständig verändert würden. Behörden in den Ländern und Kommunen bräuchten jeweils Zeit, sich auf eine neue Rechtslage einzustellen. Derzeit gebe es noch deutlich zu lange Wartezeiten auf Behörden- und sonstige Beratungstermine, die sich dann addierten, bevor eine zuwanderungsinteressierte Person wirklich nach Deutschland kommen könne. Das sei auch für die Unternehmen eine Herausforderung. Gegenüber Geflüchteten (auch aus der Ukraine) bestehe bisweilen zudem seitens der Unternehmen und Betriebe eine gewisse Skepsis, was Deutschkenntnisse, Kompetenzen oder auch Bleibeperspektive betrifft. Hier müsse manchmal Überzeugungsarbeit geleistet werden.
Gleichzeitig wurde die Bedeutung von Unternehmen, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden und sonstigen zivilgesellschaftlichen Akteuren sowie nicht zuletzt jedes und jeder einzelnen betont, was das gesamtgesellschaftliche Klima in Sachen Zuwanderung betrifft. Es sei nicht allein Sache der Politik, hier auf Basis von Fakten (wie den vom SVR zusammengestellten) klar für den Erhalt der Offenheit einzutreten. Das Beispiel des Brexit in Großbritannien habe deutlich gezeigt, dass dies auch wirtschaftlich dem Land geschadet habe.
Prof. Poutvaara wies darauf hin, dass die Bevölkerung offen für eine gesteuerte Zuwanderung sei, wie diverse Studien gezeigt hätten; auch bezogen auf Zuwanderung im Kontext der EU-Freizügigkeit spreche sich im Widerspruch zu den geltenden gesetzlichen Regelungen die Bevölkerung mehrheitlich für eine zahlenmäßige Begrenzung aus. Es sei wichtig zu verstehen, wieso Menschen skeptisch seien und ggf. bestehende Probleme auch zu adressieren, damit Sorgen nicht politisch instrumentalisiert werden. Konsens war, dass eine Fortsetzung des derzeit stark migrationsskeptischen und polarisierten politischen und medialen Diskurses sowohl schädlich für den (Wirtschafts)Standort Deutschland ist als auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Teilhabe der hier bereits zum Teil seit Generationen lebenden Menschen mit Zuwanderungsgeschichte.
Dr. Raphaela Schweiger von der Robert Bosch Stiftung GmbH begrüßt die Teilnehmenden.
Prof. Dr. Panu Poutvaara, SVR, stellt das Jahresgutachten 2024 vor.
Luisa Herrmann, Freudenberg Stiftung gGmbH, kommentiert das Jahresgutachten.
Dr. Ferdinand Mirbach von der Robert Bosch Stiftung präsentiert die inhaltlichen Übereinstimmungen seiner Arbeit mit dem aktuellen Jahresgutachten.
Dr. Cornelia Schu, SVR gGmbH, moderiert das Fachgespräch.
Weitere Eindrücke aus dem Fachgespräch
Fotos: SVR/ Verena Müller