Veranstaltungen – Sachverständigenrat
Legalise labour migration to reduce irregular migration?
Vorstellung des SVR-Jahresgutachtens 2018 am 18. Juni 2018 in Brüssel
Bei der Zuwanderung von Akademikerinnen und Akademikern ist seit vielen Jahren ein race for talent (A. Shachar) zu beobachten. Der Wettbewerb um die klügsten Köpfe wurde u. a. durch die EU-Hochqualifiziertenrichtlinie 2009/50/EU beschleunigt. Weniger im Fokus standen lange Zeit Fachkräfte mit einer beruflichen Ausbildung sowie niedrig qualifizierte Arbeitskräfte ohne Qualifikationsnachweis. Dies hat sich geändert, beide Gruppen finden zunehmend politische Beachtung, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen: Fachkräfte mit beruflichem Abschluss rücken stärker in den Fokus, da auch in solchen Qualifikationsstufen zunehmend Arbeitskräfte fehlen (etwa im Gesundheitsbereich). Optionen für niedrig qualifizierte Arbeitskräfte werden dagegen als Instrument diskutiert, um irreguläre Migration zu reduzieren: Personen, die ansonsten über den Asylweg nach Deutschland oder andere EU-Mitgliedsländer kommen würden, wird ein legaler Zugangsweg über den Arbeitsmarkt eröffnet.
Die Frage, inwieweit eine erleichterte Arbeitsmigration zur Reduzierung irregulärer Zuwanderung führen kann, stand am 18. Juni in Brüssel deshalb im Mittelpunkt einer gemeinsamen Veranstaltung von SVR und Hanse-Office.
Jan Pörksen, Staatsrat der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration in Hamburg, betonte in seiner Einführung, dass ökonomisch starke Regionen wie die Hansestadt dringend nach Arbeitskräften suchen und lobte die SVR-Vorschläge zur Flexibilisierung der Erwerbszuwanderung.
SVR-Mitglied Prof. Dr. Daniel Thym gab einen Überblick über die rechtlichen Regelungen zur Arbeitsmigration in Deutschland. Im Gegensatz zur Asyl- und Fluchtmigration bzw. zum Familiennachzug, die mittlerweile fast vollständig europäisiert sind, seien die nationalen Spielräume bei der Erwerbsmigration noch relativ groß. Deutschland befinde sich hier jedoch in einem erwerbsmigrationspolitischen Grunddilemma, so Prof. Thym. Die duale Ausbildung in Deutschland gilt in vielen Industrieländern und mittlerweile auch bei der OECD als Best Practice. Auf der anderen Seite sind in Ländern, aus denen aktuell und vielleicht zukünftig Menschen zum Arbeiten nach Deutschland kommen, solche Ausbildungsstrukturen kaum ausgeprägt. Dieser Gegensatz zwischen der stark formalisierten beruflichen Ausbildung in Deutschland und den oft (zumindest im Vergleich damit) relativ informellen Berufsausbildungen im Ausland wirke als eine zentrale Hürde für Zuwanderung. Als eine mögliche Lösung dieses Dilemmas schlägt der SVR das sogenannte „Nimm 2+“-Modell vor: Fachkräfte mit einer im Ausland abgeschlossenen beruflichen Ausbildung können auch ohne Gleichwertigkeitsnachweis nach Deutschland kommen und hier arbeiten, wenn sie neben einem Arbeitsvertrag mindestens zwei weitere Kriterien erfüllen (bspw. fortgeschrittene Deutschkenntnisse). Auch für Personen außerhalb der Mangelberufe wäre so eine Zuwanderung unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Dadurch sinken die Anforderungen insgesamt nicht, es entstehe aber eine neue Flexibilität, die es mehr qualifizierten Personen ermöglichen würde, zum Zweck der Erwerbstätigkeit zuzuwandern. Als ein Beispiel für die erfolgreiche Reduzierung irregulärer Migration stellte Prof. Thym die Ende 2015 in Deutschland eingeführte Westbalkan-Regelung vor. Ein großer Teil der Asylsuchenden kam zuvor aus Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien. Ihre Anträge wurden überwiegend abgelehnt. Dies führte dazu, dass diese Länder 2015 zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt wurden. Gleichzeitig wurde der Arbeitsmarkt für Menschen aus diesen Ländern deutlich geöffnet, sofern ein verbindliches Arbeitsplatzangebot vorliegt und die visarechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind.
Lieven Brouwers, Direktor der Abteilung Legale Migration und Integration bei der Europäischen Kommission, unterstrich, dass die Schaffung legaler Migrationswege ein wichtiger Baustein einer ganzheitlichen europäischen Migrationsagenda sei. Zum einen seien die EU-Staaten auf Zuwanderung angewiesen, zum anderen werde die Legitimität des Asylsystems durch Missbrauch in Frage gestellt. Jedoch gäbe es bislang nur wenige Hinweise, dass legale Migrationswege tatsächlich zu weniger irregulärer Migration führten. An dieser Stelle sei mehr Forschung notwendig. Weiterhin habe die Kommission sog. Pilotprojekte für legale Migration vorgeschlagen, die neben dem Informationsmanagement in den Herkunftsländern auch konkrete Migrationsoptionen bzw. Ausbildungsmöglichkeiten beinhalten können.
Elizabeth Collett, Direktorin des Migration Policy Institute, warnte davor die verschiedenen Migrationskonzepte zu vermischen. Dies geschehe jedoch häufig, seitdem die sog. Migrationskrise unsere Wahrnehmung über wirtschaftlich motivierte Migration stark verändert habe. Arbeitsmigration werde nun immer häufiger im Zusammenhang mit Asyl diskutiert. In den Jahren zuvor lag der Fokus weitaus deutlicher auf dem Konzept der zirkulären Migration, das stark entwicklungspolitisch konnotiert war.
Matthieu Tardis, wissenschaftlicher Mitarbeiter am French Institute of International Relations (IFRI), ging auf die gegenwärtigen Diskussionen in Frankreich ein. Hier sei Arbeitsmigration wegen der seit 40 Jahren hohen Arbeitslosenzahlen kein Thema auf der politischen Agenda. Ausnahmen einer restriktiven Zuwanderungspolitik gebe es lediglich im Bereich von Mangelberufen, bei Hochqualifizierten und im Rahmen von bilateralen Abkommen mit Herkunftsländern.
Welche Maßnahmen notwendig sind, um die Voraussetzungen für legale Wege in die Arbeitsmigration weiterhin zu verbessern, wurde anschließend mit allen Teilnehmenden diskutiert. Es waren sich alle einig, dass es u. a. wegen der extrem unterschiedlichen Ausgangsbedingungen der Mitgliedstaaten keine einfachen Lösungen geben kann. Es sei jedoch wichtig, so Prof. Thym, Pilotprojekte aufzusetzen und so Erfolgsgeschichten zu schaffen, die der Politik als Grundlage für weiteres Handeln dienen können.