Veranstaltungen – Sachverständigenrat
Migration aus Afrika: Herausforderungen, Potenziale und Gestaltungsmöglichkeiten
Virtuelles Fachgespräch zum SVR-Jahresgutachten am 26. Mai 2020
Im Rahmen eines regionalen Fachgesprächs präsentierte der SVR sein aktuelles Jahresgutachten „Gemeinsam gestalten: Migration aus Afrika nach Europa“ am 26. Mai Expertinnen und Experten aus Nordrhein-Westfalen. Aufgrund der aktuellen Einschränkungen durch Covid-19 fand die Veranstaltung erstmals als digitales Gespräch statt. SVR-Mitglied Prof. Dr. Birgit Leyendecker (Ruhr Universität Bochum) stellte die Kernbotschaften des Jahresgutachtens vor und bezog diese auf die aktuelle Situation in Nordrhein-Westfalen.
Unkenntnis mit Zahlen und Fakten begegnen – Beispiel NRW
Prof. Leyendecker betonte, dass es an Wissen über den afrikanischen Kontinent und seine Vielfalt fehle. Es sei beispielsweise eine in der Öffentlichkeit kaum diskutierte Tatsache, dass sich der Großteil afrikanischer Migration auf dem Kontinent abspiele.
In Deutschland und Europa stellen Migrantinnen und Migranten aus Afrika nur eine Minderheit der Bevölkerung dar, so Leyendecker. 2018 lag ihr Anteil in Europa bei 1,5 Prozent, in Deutschland sogar unter einem Prozent.
Prof. Leyendecker ging insbesondere auf die Zahlen in NRW ein: hier stellen afrikanische Staatsangehörige rund 6 Prozent aller Ausländerinnen und Ausländer, über die Hälfte von ihnen ist erst seit 2014 zugewandert. Aus diesen Zahlen lasse sich schlussfolgern, dass Zuwanderung aus Afrika in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen habe, so die Sachverständige. Sie liege aber immer noch auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau. Das gleiche Phänomen zeige sich für ganz Deutschland.
Bildungs- und Arbeitsmigration von Afrika nach Deutschland und Europa
Afrikanische Studierende machen an deutschen Hochschulen etwa ein Zehntel aller internationalen Studierenden aus. Knapp 70 Prozent der an den deutschen Hochschulen studierenden Bildungsmigrantinnen und -migranten aus afrikanischen Ländern streben Abschlüsse in technischen Fächern an, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt seit Jahren besonders gefragt sind. Darüber hinaus sammeln 54 Prozent der afrikanischen Studierenden bereits während ihres Studiums hierzulande Arbeitserfahrung, und mehr als zwei Drittel beabsichtigen, nach dem Studium in Deutschland zu bleiben und zu arbeiten. Daraus lasse sich schlussfolgern, so Leyendecker, dass Studieninteressierte Bildungsmigration zunehmend als ein „Gesamtpaket Bildung + Arbeit“ verstünden und somit als regulären Weg in einen längeren bzw. dauerhaften Aufenthalt in Deutschland und Europa. Betrachte man nur Hochschulen in NRW, kamen im Wintersemester 2017/18 12,5 Prozent aller internationalen Studierenden (Bildungsausländerinnen und -ausländer) aus einem afrikanischen Land, insgesamt etwa 8.000 Personen.
Bislang schaffe es jedoch nur ein kleiner Teil der wanderungswilligen Afrikanerinnen und Afrikaner für ein Studium nach Deutschland oder in ein anderes EU-Mitgliedsland, führte Leyendecker weiter aus. Für Ausbildungszwecke oder Nachqualifikationen seien die Zahlen noch deutlich niedriger, obwohl die Zuwanderungsregelungen rein rechtlich gesehen vergleichsweise liberal seien. Um die Potenziale der Bildungsmigration aus Afrika nach Deutschland besser zu nutzen, sollten bestehende Hindernisse beseitigt werden, betonte Leyendecker. Notwendig sei z. B. der gezielte Ausbau der bisherigen Anstrengungen zur Gewinnung und Vorintegration internationaler Auszubildender, aber auch eine bessere Kommunikation der Möglichkeiten regulärer Zuwanderung über den Bildungsweg.
Neue reguläre Wege nach Europa
Prof. Leyendecker ging weiterhin auf die Forderung des SVR ein, neue reguläre Wege der Migration nach Europa zu eröffnen, um den für afrikanische Länder äußerst relevanten Arbeitsmarkt jenseits des Hochqualifiziertensegments zu öffnen und Alternativen zur gefährlichen Flucht über das Mittelmeer zu schaffen. Die Sachverständigen empfehlen dazu in ihrem aktuellen Gutachten verschiedene Maßnahmen: eine (Re-)Aktivierung der EU-Saisonarbeitnehmerrichtlinie, die Nutzung der Potenziale von auf EU-Ebene abgeschlossenen Mobilitätspartnerschaften und die Nutzung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes für Afrika. Weiterhin schlägt der SVR eine marktwirtschaftliche Steuerungsoption vor: die Einführung eines temporären Arbeitsvisums mit finanzieller Sicherheitsleistung. Statt für Schlepperdienste könnten Zuwanderungsinterressierte ihre finanziellen Mittel künftig nutzen, um eine ‚Kaution‘ zu leisten. Diese ‚Kaution‘ dient zur Sicherstellung der Rückkehr. Hierbei sei auch eine (anteilige) Kostenübernahme von deutschen Unternehmen denkbar, denn auch diese könnten von einer solchen Regelung profitieren, so Prof. Leyendecker.
Diskussion im Expertenkreis
Die anschließende vertrauliche Diskussion mit den Teilnehmenden aus Ministerien, Wirtschaft, Verbänden und Zivilgesellschaft wurde von der SVR-Geschäftsführerin Dr. Cornelia Schu moderiert. Der Fokus lag dabei auf der Frage, wie man die Kooperationen mit afrikanischen Staaten zum Zweck der Erwerbstätigkeit und in Form von Ausbildungspartnerschaften vorantreiben könne, aber auch auf der konkreten Umsetzung des vom SVR vorgeschlagenen Arbeitsvisums gegen ‚Kaution‘. Zentrales Ergebnis war, dass eine bessere Vernetzung von Akteuren zur Ausgestaltung der Migration einen wichtigen Beitrag leisten kann und muss. Dabei sei die afrikanische Diaspora ein wichtiger Partner, der eingebunden werden sollte.