Veranstaltungen – Sachverständigenrat
Migration aus Afrika: Herausforderungen, Potenziale und Gestaltungsmöglichkeiten
Virtuelles Fachgespräch zum SVR-Jahresgutachten am 13. Oktober 2020
Im Rahmen eines regionalen Fachgesprächs präsentierte der SVR sein aktuelles Jahresgutachten „Gemeinsam gestalten: Migration aus Afrika nach Europa“ am 13. Oktober Expertinnen und Experten aus Sachsen. Aufgrund der aktuellen Einschränkungen durch Covid-19 fand die Veranstaltung als digitales Gespräch statt. SVR-Mitglied Prof. Dr. Hans Vorländer von der TU Dresden stellte zentrale Ergebnisse und Empfehlungen des Jahresgutachtens vor und ging dabei auch auf die aktuelle Situation in Sachsen ein.
Migration aus Afrika quantitativ vergleichsweise gering
Prof. Vorländer hob eingangs hervor, dass es in Deutschland und Europa an Wissen über den Kontinent Afrika und seine Vielfalt fehle, dem wolle der SVR mit seinem 11. Jahresgutachten entgegenwirken. So sei es beispielsweise eine in der Öffentlichkeit kaum diskutierte Tatsache, dass sich der Großteil afrikanischer Migration auf dem afrikanischen Kontinent abspiele. Afrika sein als Herkunftskontinent von Migranten in einer globalen Perspektive eher unterrepräsentiert. Zugewanderte aus Afrika machten in Europa gerade einmal einen Anteil an der Gesamtbevölkerung von etwas mehr als 1,5 Prozent aus. In Deutschland liege der Anteil der Zugewanderten aus Afrika bei unter einem Prozent der Bevölkerung, jedoch sei die Tendenz steigend.
Die Situation in Sachsen
Auch in Sachsen machen die rund 14.000 afrikanischen Staatsangehörigen, die Ende 2019 in Sachsen lebten, nur einen Anteil von gut sechs Prozent an allen Ausländerinnen und Ausländern aus. Ein großer Teil von ihnen ist erst seit 2014 zugewandert. Die wichtigsten Herkunftsstaaten sind Libyen, Eritrea, Tunesien und Marokko. Nordafrikanerinnen und Nordafrikaner stellen etwas über die Hälfte der afrikanischen Zugewanderten. Die Zuwanderung aus Afrika habe in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, liege aber immer noch auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau, so Vorländer. Das gleiche Phänomen zeige sich für ganz Deutschland. Von den afrikanischen Staatsangehörigen in Sachsen hatten 2019 rund 10 Prozent ein unbefristetes Aufenthaltsrecht. Die übrigen rund 12.500 Personen besaßen einen befristeten Aufenthaltstitel, fast die Hälfte von ihnen aus familiären oder aus humanitären Gründen.
Positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt
Prof. Vorländer ging auch auf die sächsischen Arbeitsmarktdaten für die Staatsangehörigen der Länder Nigeria, Eritrea und Somalia ein. Die Arbeitslosenquote ist seit 2016 deutlich gesunken, die Zahl der Beschäftigten hat sich vervielfacht. Unter diesen Personen seien auch viele Auszubildende, so Prof. Vorländer.
Bildungsmigration aus Afrika nach Deutschland als wichtiges Steuerungsinstrument
Afrikanische Studierende machen derzeit an deutschen Hochschulen etwa ein Zehntel aller internationalen Studierenden aus; die wichtigsten Herkunftsländer sind schon seit längerem Kamerun und Marokko, in den letzten Jahren stiegen die Zahlen aus Tunesien, Ägypten und Nigeria deutlich an. Knapp 70 Prozent der an den deutschen Hochschulen studierenden Bildungsmigrantinnen und -migranten aus afrikanischen Ländern streben Abschlüsse in technischen Fächern an, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt seit Jahren besonders gefragt sind. Unter anderem deshalb werden internationale Studierende oft als ‚Idealzuwanderer‘ bezeichnet. Dies sei für Sachsen interessant, so Prof. Vorländer, denn viele erfolgreiche Studienabsolventinnen und -absolventen beabsichtigen, nach dem Studium in Deutschland zu bleiben und hier zu arbeiten. Seit 2005 stehen ihnen hierfür rechtlich die Möglichkeiten offen: Sie dürfen nach erfolgreichem Studienabschluss bis zu 18 Monate in Deutschland bleiben, um einen adäquaten Arbeitsplatz zu suchen. Gelingt ihnen das, können sie ihren Aufenthalt fortsetzen. Studieninteressierte betrachten und nutzen Bildungsmigration also zunehmend als ein „Gesamtpaket Bildung und Arbeit“ und somit als einen legalen Weg in einen längeren bzw. dauerhaften Aufenthalt in Deutschland bzw. in Europa, erklärte Vorländer.
Zuwanderung zum Zweck der Ausbildung ist hingegen weit weniger ausgeprägt: Ende 2018 hatten nur etwa 3.000 Afrikanerinnen und Afrikaner eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der beruflichen Aus- und Fortbildung. Hier sollten die Potenziale besser genutzt werden, so Prof. Vorländer. Die Möglichkeiten hierzu bietet das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, es erleichtert die Zuwanderung in die berufliche Ausbildung und eröffnet die Möglichkeit der Nachqualifikation in Deutschland. Das FEG ermöglicht zudem Kennlernaufenthalte für afrikanische Ausbildungsinteressierte in Deutschland.
Daneben sollten Maßnahmen zur besseren Kommunikation der Möglichkeiten legaler Zuwanderung über den Bildungsweg für afrikanische Ausbildungs- und Studieninteressierte ergriffen werden, betonte Vorländer, auszubauen seien auch die Möglichkeiten des Spracherwerbs im Herkunftsland, damit das Gesetz greifen könne.
Neue reguläre Wege nach Europa schaffen
Der SVR plädiert weiterhin dafür, neue reguläre Wege der Migration nach Europa und Deutschland zu eröffnen, um den für afrikanische Länder äußerst relevanten Arbeitsmarkt jenseits des Hochqualifiziertensegments zu öffnen und Alternativen zur gefährlichen Flucht über das Mittelmeer zu schaffen. Unter bestimmten Bedingungen sollte dabei auch eine Zuwanderung ohne zu deutschen Standards als gleichwertig anerkannte Qualifikationen möglich werden. Die Sachverständigen empfehlen in ihrem aktuellen Gutachten: eine (Re-)Aktivierung der EU-Saisonarbeitnehmerrichtlinie, die Nutzung der Potenziale von Mobilitätspartnerschaften und die Nutzung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes für Afrika.
SVR-Vorschlag: Temporäres Arbeitsvisum gegen ‚Kaution‘
Weiterhin schlägt der SVR eine marktwirtschaftliche Steuerungsoption vor: die Einführung eines temporären Arbeitsvisums mit finanzieller Sicherheitsleistung. Statt für Schlepperdienste könnten Zuwanderungsinteressierte ihre finanziellen Mittel künftig nutzen, um eine ‚Kaution‘ zu leisten. Diese ‚Kaution‘ dient zur Sicherstellung der Rückkehr. Ein wesentlicher Vorteil dieses Instruments, so Vorländer, sei die Kooperation auf Augenhöhe mit afrikanischen Staaten und die aktive Gestaltung der Migration. Voraussetzung sei, dass mit den entsprechenden Herkunftsländern Rücknahmeabkommen bestehen.
Diskussion im Expertenkreis
Die anschließende vertrauliche Diskussion mit den Teilnehmenden aus Ministerien, Verbänden, Wissenschaft und Zivilgesellschaft wurde von der SVR-Geschäftsführerin Dr. Cornelia Schu moderiert. Dabei wurden unter anderem die Möglichkeiten des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes für die Einwanderung in die berufliche Bildung besprochen. Angeregt wurde z.B. in Sachsen besonders mit den Ländern der ehemaligen DDR-Vertragsarbeitskräfte zu kooperieren. Dafür könnte möglicherweise auch die Unterstützung der seit langem in Deutschland lebenden Menschen aus diesen Ländern gewonnen werden. Einigkeit bestand darin, dass bei entsprechenden Initiativen zur Fachkräftegewinnung staatliche Stellen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammenarbeiten müssten. Auch die Hochschulen könnten eine wichtige Rolle spielen. Prof. Vorländer plädierte dafür, sich mit Phantasie auf neue Ansätze einzulassen und Pilotprojekte zu initiieren.