Veranstaltungen – Sachverständigenrat
Politische Teilhabe von Zugewanderten: Wege zu einer besseren Beteiligung
Digitale Fachkonferenz zur Vorstellung des SVR-Jahresgutachtens 2021 am 4. Mai 2021
Am 4. Mai stellte der SVR das neu erschienene Jahresgutachten mit dem Titel „Normalfall Diversität? Wie das Einwanderungsland Deutschland mit Vielfalt umgeht“ auf einer digitalen Konferenz einem breiten Fachpublikum vor und legte den Schwerpunkt dabei auf die Frage der politischen Teilhabe. An der Fachkonferenz nahmen 270 Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Verwaltung, Verbänden, Wissenschaft und Zivilgesellschaft teil.
In seinem diesjährigen Jahresgutachten geht der SVR von dem Befund aus, dass die gesellschaftliche Vielfalt in Deutschland zugenommen hat. Zuwanderung ist ein Grund hierfür. Er analysiert, wie diese Vielfalt in Kernbereichen des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland gehandhabt wird und wie die Bevölkerung zu Diversität steht. Auf dieser Basis gibt der SVR unter anderem Empfehlungen, wie politische Partizipation sowie die Teilhabe am Arbeitsmarkt in Deutschland verbessert werden können. Damit der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt wird, muss vermieden werden, dass aus Herkunftsunterschieden Teilhabeungleichheiten werden.
Eröffnet wurde die Fachkonferenz von Dr. Markus Kerber, Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI), der die unabhängige und wissenschaftlich fundierte Arbeit sowie die interdisziplinäre Zusammensetzung des Gremiums hervorhob. Dadurch würden unterschiedliche Perspektiven auf ein Thema ermöglicht.
Dr. Kerber verwies mit Blick auf das Thema Staatsbürgerschaft auf den im März 2021 vom Kabinett beschlossenen Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG), der u.a. die Möglichkeit konkretisiere, bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen die für die Anspruchseinbürgerung erforderlichen Voraufenthaltszeiten von acht auf bis zu sechs Jahre zu verkürzen.
Prof. Petra Bendel, die Vorsitzende des SVR, stellte anschließend die zentralen Empfehlungen und Ergebnisse des Jahresgutachtens zum Thema politische Partizipation vor.
Sie mahnte an, dass die Einbürgerungszahlen in Deutschland seit Jahren stagnierten. Nur ein Bruchteil der berechtigten Ausländerinnen und Ausländer lasse sich jedes Jahr einbürgern. Prof. Bendel betonte, dass allen Menschen in Deutschland unterschiedliche Formen politischer Partizipation offenstehen, für die vollumfängliche Ausübung politischer Rechte jedoch die deutsche Staatsangehörigkeit vorausgesetzt wird. Der SVR empfiehlt in seinem aktuellen Jahresgutachten deshalb u.a. Informationskampagnen, um Personen, die die Kriterien für eine Einbürgerung erfüllen, besser über die bestehenden Möglichkeiten zu informieren und zur Einbürgerung zu ermuntern. Außerdem empfiehlt der SVR, Vorschriften und Verfahren zu vereinheitlichen und zu vereinfachen, Einbürgerungsfeiern zu veranstalten und eine sogenannte „Turbo-Einbürgerung“ nach bereits vier Jahren für besonders gut integrierte Zugewanderte zu erwägen. Weiterhin machte Prof. Bendel darauf aufmerksam, dass Deutsche mit Migrationshintergrund zwar einen wachsenden Teil der Wahlberechtigten stellen, sich aber seltener an Wahlen beteiligen als Deutsche ohne Zuwanderungsgeschichte. Hier fordert der SVR die Parteien auf, Wahlberechtigte mit Migrationshintergrund als Wählerinnen und Wähler ernst zu nehmen und gezielt anzusprechen.
Deutsche mit Zuwanderungsgeschichte seien in den Parlamenten, verglichen mit ihrem Anteil an den Wahlberechtigten, weiterhin unterrepräsentiert – auch wenn ihr Anteil in den vergangenen Jahren erfreulicherweise gestiegen ist. Parteien sollten deshalb, so die SVR-Vorsitzende, Menschen mit Zuwanderungsgeschichte als Parteimitglieder und Mandatsträgerinnen und Mandatsträger stärker einbinden. Dabei sollten sie selbstkritisch Zugangshürden sowie ihre Parteikultur unter die Lupe nehmen und Politikerinnen und Politiker mit Migrationsgeschichte nicht auf den Bereich der Migrations- und Integrationspolitik festlegen.
Prof. Bendel wies in ihrem Vortrag darauf hin, dass sich in Deutschland neben den allgemeinen Formen politischen Engagements über Wahlen, Parteien oder informelle Aktivitäten zwei spezielle Formen der Interessenvertretung von Zugewanderten herausgebildet haben: zum einen sog. Ausländer- bzw. Integrationsbeiräte und ähnliche Partizipationsgremien vor allem auf kommunaler Ebene, zum anderen die Interessenvertretung durch Migrantenorganisationen, die in den letzten Jahren verstärkt in politische Prozesse eingebunden werden.
Ein weiterer Punkt, auf den Prof. Bendel in ihrem Vortrag einging, war das Kommunale Wahlrecht. Derzeit dürfen EU-Bürgerinnen und –Bürger mit Wohnsitz in Deutschland auf kommunaler Ebene wählen, Drittstaatsangehörige jedoch nicht. Unter Berücksichtigung der Pro- und Contra-Argumente spricht sich der SVR aus integrationspolitischen Gründen dafür aus, die Einführung eines kommunalen Wahlrechts auch für Drittstaatsangehörige zu erwägen.
Im Anschluss an den Vortag von Petra Bendel kamen Personen, die die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen haben, in einem kurzen Video zu Wort. Ein Wunsch eines „neuen Deutschen“ war beispielsweise, dass Einbürgerungsberechtigte aktiv eingeladen werden sollten, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen, um ein Signal der Anerkennung zu senden.
Das Video finden Sie unter diesem Link, der Sie zu dem Videoportal Youtube weiterleitet.
In der nachfolgenden Podiumsdiskussion, die von Konstantina Vassiliou-Enz moderiert wurde, diskutierte die SVR-Vorsitzende gemeinsam mit Dr. Daniel Asche, Leiter der Abteilung Integration im Ministerium für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz Rheinland-Pfalz, Cemile Giousouf, Vizepräsidentin der Bundeszentrale für politische Bildung, Memet Kılıç, Vorsitzender des Bundeszuwanderungs- und Integrationsrats (BZI), und der Anwältin für Einwanderungsrecht Dr. Esther Weizsäcker, wie sich gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund durch einen besseren Zugang zu politischer Partizipation verbessern lässt.
Prof. Bendel wies darauf hin, dass ein demokratiepolitisches Problem entstehe, wenn Menschen dauerhaft von politischen Entscheidungen ausgeschlossen sind. Dies könne zu Entfremdung vom politischen System führen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden. Es sei eine Frage des Selbstverständnisses der Gesellschaft, wie sie mit Diversität umgehen wolle, so Bendel.
Aus diesem Grund fordert der Bundeszuwanderungs- und Integrationsrat (BZI) und dessen Vorsitzender Memet Kılıç seit Jahren ein kommunales Wahlrecht für alle Ausländerinnen und Ausländer, um alle Menschen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit über ihr unmittelbares Umfeld mitentscheiden zu lassen. Darüber hinaus sei aber auch politisches Engagement z.B. in Migrationsbeiräten wichtig, so Kılıç.
Rechtsanwältin Dr. Weizsäcker merkte an, dass es einer Grundgesetzänderung bedürfte, um das kommunale Wahlrecht auch auf Nicht-EU-Bürger auszuweiten. Aus ihrer Sicht ist jedoch die Pflicht zur Aufgabe der ursprünglichen Staatsangehörigkeit ein viel größeres Problem. Viele gut integrierte Einwanderinnen und Einwanderer mit unbefristetem Aufenthaltstitel halte diese Pflicht von der Einbürgerung und damit von der Möglichkeit einer umfänglichen politischen Partizipation ab.
Prof. Bendel verwies in diesem Zusammenhang auf den Kompromissvorschlag des SVR zum Doppelpass mit Generationsschnitt. Dieser sieht vor, die doppelte Staatsangehörigkeit für eine oder mehrere Übergangsgenerationen zu erlauben. Eine unbegrenzte Weitergabe der doppelten Staatsbürgerschaft solle aber nicht möglich sein. Schwierig sei hierbei die Umsetzung. Sie erfordere Verhandlungen mit den Herkunftsstaaten.
Dr. Daniel Asche vom Ministerium für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz Rheinland-Pfalz berichtete von den Erfahrungen mit der dortigen Einbürgerungskampagne sowie einer Studie, bei der sowohl Eingebürgerte als auch einbürgerungsberechtigte Ausländerinnen und Ausländer sowie Mitarbeitende in den entsprechenden Behörden befragt wurden. Eine wichtige Erkenntnis war, dass die Botschaft „Wir wollen dich als Teil unserer Gesellschaft“ eine große Rolle spiele. Einbürgerungsberechtigte wollten angesprochen und eingeladen werden. Vom Bund wünschte sich Dr. Asche mehr Mut, die Einbürgerungs-Voraussetzungen zu erleichtern und damit ein Signal der Wertschätzung zu senden. Außerdem müsse für ausreichend Personal in den Einbürgerungsbehörden gesorgt werden.
Cemile Giousouf von der Bundeszentrale für politische Bildung machte auf die Notwendigkeit einer besseren Informationspolitik aufmerksam. Viele Menschen wüssten gar nicht, dass sie bereits die Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfüllten oder welche Vorteile der Erwerb mit sich bringe. Darüber hinaus betonte Giousouf, dass politische Partizipation nicht allein an die deutsche Staatsbürgerschaft gebunden sei. Man könne sich auf unterschiedlichste Art und Weise gesellschaftlich einbringen. Es sei falsch, die Botschaft zu senden, dass nur willkommen sei, wer die deutsche Staatsbürgerschaft erwerbe. Giousouf lobte, dass in den letzten Jahren viele Fortschritte erzielt wurden, merkte jedoch auch an, dass das Staatsbürgerschaftsrecht vielen hybriden Identitäten nach wie vor nicht gerecht würde.
Auf die Frage, warum Menschen mit Migrationshintergrund in den Parlamenten und Parteien noch immer unterrepräsentiert sind, antwortete Cemile Giousouf, dass Parteien in den vergangenen Jahren durchaus um Menschen mit Zuwanderungsgeschichte geworben hätten. Noch gäbe es aber zu wenige Rollenvorbilder und oft fehle es an Wissen über die Möglichkeiten, sich politisch zu engagieren. Weiterhin brauche es nicht nur Mandatsträgerinnen und -träger mit Zuwanderungsgeschichte, sondern es brauche auch in den Parteistrukturen und auf kommunaler Ebene mehr Menschen mit Migrationshintergrund.
Dr. Weizsäcker wünschte sich eine bessere Personalentwicklung in den zuständigen Behörden. Oftmals sei die Kommunikation mit den Mitarbeitenden schwierig oder es würden Unterlagen gefordert, die gar nicht notwendig sind.
Herr Kılıç wies darauf hin, dass bei allen verständlichen Interessen der Menschen an einer Beibehaltung verschiedener Staatsangehörigkeiten nicht aus dem Blick gelassen werden dürfe, dass nicht-demokratische Herkunftsländer zum Teil eine sehr aktive Diaspora-Politik zur Beeinflussung „ihrer“ Staatsangehörigen in Deutschland und in anderen Demokratien betrieben. Hier müsse eine wehrhafte Demokratie sich der darin liegenden Gefahren bewusst sein.
Aus dem Publikum, das sich über den Chat rege an der Diskussion beteiligte, wurde mehrfach die Ungleichbehandlung von EU-Bürgerinnen und -Bürgern verglichen mit Drittstaatsangehörigen beim kommunalen Wahlrecht thematisiert und bemängelt. Großes Interesse gab es außerdem an dem Thema der doppelten Staatsangehörigkeit. Es wurde angemerkt, dass ein Bekenntnis zu nur einem Staat nicht den hybriden Identitäten und der Realität des 21. Jahrhunderts entspreche. Weiterhin wurde zu bedenken gegeben, dass der Prozess der Gleichbehandlung nicht mit der Einbürgerung abgeschlossen sei, sondern dass auch danach noch Erfahrungen mit Diskriminierung und Ungleichbehandlung gemacht würden. Hier gebe es noch viel zu tun.