Veranstaltungen – Sachverständigenrat
„Gesundheitliche Chancengleichheit – auch eine Frage der Zuwanderungsgeschichte?“
Virtuelles Fachgespräch zum SVR-Jahresgutachten 2022 am 26. August 2022.
Im Rahmen seiner regionalen Fachgespräche stellte der SVR das aktuelle Jahresgutachten „Systemrelevant: Migration als Stütze für die Gesundheitsversorgung in Deutschland“ am 26. August bei einem virtuellen Fachgespräch mit Expertinnen und Experten aus Hamburg, Bremen und Schleswig–Holstein vor. Der Fokus lag auf zentralen Befunden des Gutachtens zur gesundheitlichen Chancengleichheit von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte.
Die allermeisten Menschen, die ohne deutschen Pass in Deutschland leben, sind regulär krankenversichert und haben damit vollen Zugang zu allen Leistungen des Gesundheitssystems. Für einige wenige Teilgruppen ohne Versicherung übernimmt der Staat allerdings nur eine eingeschränkte Versorgung. Dazu gehören Asylsuchende in den ersten 18 Monaten ihres Aufenthalts und irregulär aufhältige Migrantinnen und Migranten. Doch auch wenn rein rechtlich für die Mehrheit keine Zugangsbeschränkungen gelten, gibt es Hürden, die den chancengleichen Zugang zu Gesundheitsleistungen für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte erschweren oder die Versorgungsqualität beeinträchtigen können. Dazu zählen Sprach- und Kommunikationsbarrieren, Diskriminierung und eingeschränktes Orientierungswissen über die Strukturen, Regeln, Angebote und Optionen der Gesundheitsversorgung in Deutschland. Im Mittelpunkt des Fachgesprächs standen die Fragen, wie bestehende Versorgungslücken geschlossen und die gesundheitliche Chancengleichheit verbessert werden können.
Dr. Marie Mualem Sultan, stellvertretende Leiterin des Arbeitsbereichs Jahresgutachten, stellte die Kernergebnisse des aktuellen Jahresgutachtens vor.
Der SVR empfiehlt verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung der gesundheitlichen Chancengleichheit von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte; darunter die Abschaffung der Übermittlungspflicht im medizinischen Bereich, um die Situation irregulär aufhältiger Personen zu verbessern, eine möglichst flächendeckende Einführung der elektronischen Gesundheitskarte für Anspruchsberechtigte nach AsylbLG, um deren Gesundheitsversorgung zu entbürokratisieren. Da sich Lücken im Krankenversicherungsschutz von Zugewanderten aber häufig nicht mehr durch fehlende Rechte erklären, sondern z. B. durch Wissenslücken über die eigenen Rechte oder Schwierigkeiten bei der Bewältigung erforderlicher Bürokratie, empfiehlt der SVR, Clearingstellen zum Krankenversicherungsschutz auszubauen. Eine zentrale Erkenntnis des Gutachtens lautet, dass zur Steigerung der gesundheitlichen Chancengleichheit von Menschen mit wie ohne Migrationshintergrund in erster Linie diversitätssensible Regeldienste erforderlich sind.
Die anschließende vertrauliche Diskussion mit den Teilnehmenden aus Landespolitik, Wirtschaft, Verbänden und Zivilgesellschaft wurde von der SVR-Geschäftsführerin Dr. Cornelia Schu moderiert.
Einig waren sich die Teilnehmenden u. a. darin, dass leicht verständliche sowie leicht zugängliche, seriöse und diskriminierungssensible Gesundheitsinformationen ein wesentlicher Bestandteil eines diversitätssensiblen Gesundheitswesens sind, die gleichermaßen Menschen mit wie ohne Migrationshintergrund zugutekommen. Ein zentrales Thema der Diskussion bildete außerdem der Umgang mit Sprachbarrieren aufgrund eingeschränkter Deutschkenntnisse, sowohl bei Patientinnen und Patienten als auch bei Gesundheitsdienstleistenden. So wurde betont, dass neben einem mehrgleisigen Ansatz für die Verdolmetschung medizinisch notwendiger Leistungen außerdem gute Zugänge zu Sprachkursen für zugewanderte Gesundheitsfachkräfte geschaffen werden müssen. Einig waren sich die Teilnehmenden darüber hinaus, dass die Arbeitsbedingungen im Gesundheitssektor verbessert werden müssen, damit eine diversitätssensible Behandlung und Pflege für alle Patientinnen und Patienten möglich wird.